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Text von Mittwoch, 1. Februar 2006

> s o z i a l e s<
  
 Auf Einsicht setzen: Bordell bleibt Stein des Anstoßes 
 Marburg * (fjh)
Die schwerste Entscheidung seiner bisherigen Amtszeit sei die Genehmigung des Bordells gewesen. Das hat Oberbürgermeister Egon Vaupel beim Neujahrsempfang der Stadt Marburg am Samstag (21. Januar) gesagt.
Die Bürgerinitiative gegen ein Großbordell in Marburg-Wehrda sieht das aber anders. "Damit hat er es sich sehr leicht gemacht", entgegnete Prof. Dr. Uta Rausch. Gemeinsam mit Ingeborg Hauschild-Schön nahm sie als Sprecherin der BI am Mittwoch (2. Februar) im Philippshaus Stellung zur aktuellen Situation rund um das umstrittene Bauprojekt an der Siemensstraße.
"Die Verflechtungen zwischen Rotlicht-Millieu und Organisierter Kriminalität sind nachgewiesen und allgemein bekannt", sagte Hauschild-Schön. So habe der Angeklagte im aktuellen Menschenhändler-Prozess vor dem Landgericht Marburg die Baumaßnahmen in der Siemensstraße beaufsichtigt. Eine frühere Mitarbeiterin des "Kleeblatt", die dieses Frankenberger Bordell später übernommen habe, sei auch Eigentümerin des Grundstücks in Wehrda.
Vertreter der Stadt hatten diese personellen Verquickungen zunächst als falsch abgetan. Später hatten sie beteuert, davon nichts gewusst zu haben. Auch die Wahrheit dieser Aussage bezweifelt die BI. Sie befürchtet, dass das geplante Großbordell mit "Laufhaus" ein Ort der Gewalt gegen Frauen werden könnte.
Das Bordell sei nicht zu verhindern, hatte Oberbürgermeister Vaupel bereits am 11. Juni gesagt. Der Stadt drohten im Falle einer Verweigerung der Baugenehmigung Regressansprüche.
Auch diese Äußerung kann die BI nicht nachvollziehen. Schließlich sei die baugenehmigung erst am 27. Juli 2005 eingereicht worden. Vollständig war sie sogar erst am 10. Oktober. Erst seit diesem Tag läuft die Frist von drei Monaten, innerhalb der die Stadt den Bauantrag mit einem Bescheid beantworten muss.
Die Baugenehmigung erteilt hat die Stadt aber schon am Montag (19. Dezember). Nun könnten nur Nachbarn das Vorhaben noch stoppen. Für eine sogenannte "Nachbarschaftsklage" haben Anwohner eine Frist von einem Jahr, erklärte Dr. Peter Hauck-Scholz.
Im Auftrag der BI hatte der fachanwalt für Verwaltungsrecht im Dezember ein Gutachten erstellt. Darin hatte er Möglichkeiten aufgezeigt, wie die Stadt das Bordell - rechtlich unbeanstandet - verhindern könnte. Der Magistrat hat dieses Gutachten jedoch nicht aufgegriffen. Er stütz sich allein auf die Ausführungen seines Gutachters von der Anwaltskanzlei Schlangenoto.
Nicht ein einziges Mal habe die Stadt jedoch Stellung bezogen zu seinem Vorschlag, die Baumaßnahmen mit dem Mittel einer "Veränderungssperre" zu verhindern, beklagte Hauck-Scholz. Ihm stelle sich da die Frage, ob der Stadt diese Möglichkeit nicht geläufig sei, was er allerdings bezweifelte, oder ob sie das Bordell vielleicht gar nicht verhindern wolle.
Nachdem die Stadtverordnetenversammlung inzwischen mit den Stimmen der CDU, der FDP und der Linkspartei die Einrichtung eines Akteneinsichtsausschusses beschlossen hat, stellte Hauck-Scholz einige Arbeitshypothesen für die weitere Durchforstung der Akten auf. Zunächst solle man in den Unterlagen nach Hinweisen suchen, wann und auf welcher Grundlage die Betreiber des Bordells mögliche Regressforderungen angedroht haben könnten.
Eine weitere Frage sei, wann die Stadt über die Identität der Betreiber in Kenntnis gesetzt worden sei. In diesem Zusammenhang wies der profilierte Jurist auf die sogenannte "Strohmann-Problematik" hin. Bei der Anmeldung eines Gewerbes müsse die Zuverlässigkeit des Betreibers auch daraufhin belauchtet werden, ob der tatsächliche Betreiber nicht vielleicht eine andere Person vorschicke, die offiziell als Betreiber auftrete.
Schließlich sei auch zu ergründen, welche "Träger öffentlicher Belange" vor Erteilung der Baugenehmigung angehört wurden und welche Stellungnahme sie abgegeben haben.
Aufgrund seiner jahrzehntelangen Arbeit als Verwaltungsrechtler und vor allem nach der Prüfung zahlreicher Stasi-Akten verfügt Hauck-Scholz über erhebliche Erfahrung in der kritischen Bewertung von Behörden-Akten. "Kaum eine Behörde kann der versuchung wiederstehen, die Akten vor einer angekündigten Einsicht zu filzen", berichtete er. Es gebe jedoch zahlrieche Möglichkeiten, fehlende Dokumente oder bereinigte Akten ausfindig zu machen.
Der Akteneinsichtsausschuss tagt zum ersten Mal am Donnerstag (2. Februar) um 17 Uhr im Sitzungssaal "Hohe Kante" unterhalb der barfüßerstraße. Seine Sitzung ist öffentlich.
Die BI und ihr Anwalt sind sich in der Erwartung einig, dass eine kritische Prüfung der Akten auf weitere Ungereimtheiten in diesem Genehmigungsverfahren hinweisen wird. Hauck-Scholz hofft aber, dass der Akteneinsichtsausschuss Licht ins Dunkel dieser Affäre bringen wird.
 
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