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Text von Sonntag, 12. Februar 2006

> k u l t u r<
  
 Iphigenie auf Tauris: Goethes Klassiker ganz modern 
 Marburg * (fjh)
"Ihr sprecht ein großes Wort gelassen aus", schrieb Johann Wolfgang von Goethe in seiner "Iphigenie auf Tauris". In einer Inszenierung von David Gerlach feierte das klassische Bühnenstück am Samstag (11. Februar) Premiere im Fürstensaal des Marurger Landgrafenschlosses.
Man hört das Rauschen von Wellen. Einige fast sphärische Klänge durchdringen den Raum. Im altehrwürdigen Gemäuer wähnt sich das Premierenpublikum plötzlich am Strand einer griechischen Insel. Dort steht der Tempel der Göttin Diana. In ihm dient Iphigenie als Priesterin.
"Johann Wolfgang von Goethe: Iphigenie auf Tauris! Die Personen: Iphigenie, Arkas, Thoas König von Tauris, Orest, Pylades!" Vier Männer und eine Frau rezitieren den Text im Chor.
Gemeinsam sprechen sie auch die ersten Sätze, die Goethe der Iphigenie zugeordnet hat. Erst mit dem Wort "fremd" löst sich Joanna-Maria Praml aus der Gruppe heraus und spricht alleine weiter. So gewinnt die Fremde an Ausdruckskraft durch ihre hörbare Einsamkeit.
Immer wieder wendet der Regisseur dieses Stilmittel an. Auch lässt er die Schauspieler Peter Meyer, Carl Pohla, Daniel Sempf, Gabriel Spagna und ihre Kollegin Joanna-Maria Praml immer wieder die Rollen tauschen. Jeder ist einmal König Thoas, dann Iphigenie und dann vielleicht ihr Bruder Orest. Und jede Rollle wird auch irgendwann mindestens einmal von mehreren Darstellern gleichzeitig gesprochen.
Dabei sitzen alle auf Schemeln auf der Bühne, wenn sie sich nicht dort bewegen. Alle sind in weiße Gewänder gehüllt. Irgenwie wirkt das fast wie eine Uniform.
Zunächst ist dieses Szenario sehr gewöhnungsbedürftig. Es verunsichert und irritiert. Spricht dieser männliche Darsteller etwa die Iphigenie?
Doch hat Gerlachs Inszenierung auch ihren Reiz. Mit dem Wechsel zwischen chorischer Rezitation und Einzelinterpretation arbeitet er häufig die Kernaussagen des anspruchsvollen Textes heraus.
Mitunter übertreibt Gerlach leider aber auch. Ein Stilmittel wie der Wechsel der Darsteller in verschiedene Rollen oder die Darstellung einer Rolle durch mehrere Schauspieler muss sparsam eingesetzt werden. Gerlach hingegen scheint sich in seine gute Idee ein wenig verliebt zu haben.
Dennoch bringt seine Inszenierung den Zuschauer eher näher heran an Goethes schwierigen Text als dessen Bedeutung zu verstellen. Die Geschichte der Königstochter, die ihr Vater der Göttin Diana opfern wollte, die die Göttin dann aber doch verschont hat, wird durch die moderne Inszenierung spannend und verständlich umgesetzt. Insbesondere die chorische Rezitation raubt ihr jegliches falsche Pathos.
Iphigenies Bruder Orest wurde von seiner Schwester Elektra versteckt, nachdem seine Mutter Klytemnestra ihren Mann Agamemnon getötet hatte. Gemeinsam mit seinem Spielfreund Pylades möchte Orest als junger Mann seinen Vater rächen. Er bringt die Mutter um.
Doch böse Geister begleiten ihn nun. Um sie loszuwerden, sucht er den Tempel der Diana auf der Insel Tauris auf. Ein Orakel hatte ihm prophezeit, beim Standbild der Göttin werde er Erlösung finden.
In den antiken Stoff hat Goethe eine hochpolitische Aussage verpackt. Passagen wie "Der Mensch gewöhnt sich gern an Sklaverei und lernet leicht gehorchen, wenn man ihn nur der Freiheit ganz beraubt" sind auch heute noch brandaktuell.
Wahrhaftigkeit ist für den Dichterfürsten der Weg der Wahl: Iphigenie weigert sich, sich mit ihrem Bruder gegen Thoas zu verschwören. Sie offenbart sich dem König vielmehr: "Weh der Lüge, denn sie befreiet nicht."
Seiner Iphigenie legt Goehte ein Plädoyer für den Frieden in den Mund. Sie weist den Thoas auf die vielen Angehörigen hin, die um ihre gefallenen Söhne, Väter, Brüder oder Geliebten trauern.
Ihr eigenes Schicksal und das ihres Bruders legt Iphigenie in Thoas Hand. Er soll entscheiden, ob sie in Freiheit ziehen darf oder sterben muss: "Vernichte mich, wenn Du darfst!"
Im Wesentlichen wird Gerlachs Inszenierung Goehtes Vorlage gerecht. Ihre Brisanz gerade für die heutige Zeit areitet er angemessen heraus.
Gekonnt steigert der Wechsel von laut und leise, im Quartett oder alleine gesprochenen Passagen die Spannung. Eindrucksvoll sind dabei die Leistungen aller Schauspieler, die diese schwirige Aufgabe bravourös bewältigt haben. Besonders hervorzuheben sind hier Carl Pohla und Joanna-Maria Praml.
Die angekündigten 90 Minuten gerieten am Ende zu guten 100. Dennoch kam keine Langeweile auf.
Geschuldet war das sowohl der gewagten Inszenierung als insbesondere auch den fünf Schauspielern. Zu Recht spendete das Publikum am Schluss deswegen minutenlang donnernden Applaus.
 
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