Text von Samstag, 8. Mai 2004
Fies kahl unsozial: Behinderte als Profit-Center | ||
Marburg * (fjh)
"Kostensenkung" ist das Zauberwort, das die Wirtschaft nun auch in die Politik hineingedrückt hat. Die Sozialsysteme sollen "schlanker" werden. So sollen die Lohnnebenkosten sinken. Als Einsparmöglichkeit haben die Verfechter dieser unsozialen nun auch die behinderten entdeckt. Nach dem Willen einiger Politiker sollen sie den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk ebenso sanieren wie die zahlreichen Verkehrsverbünde und deren Mitgliedsunternehmen. Auf Überlegungen der Politik zu Sparmaßnahmen auf Kosten Behinderter hat der Deutsche Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf (DVBS) am Freitag (7. Mai) in Marburg aufmerksam gemacht. Demnach erwägt die nordrhein-westfälische Medien-Staatssekretärin Miriam Meckel, die pauschale Rundfunkgebühren-Befreiung für Behinderte abzuschaffen. Dann müssten beispielsweise blinde Radio-Hörer genausoviel an ARD und ZDF zahlen wie diejenigen, die das farbige Fernsehbild sehen können! Noch gravierender für die Behinderten ist aber eine andere Überlegung: Die Freifahrt Schwerbehinderter im Nahverkehr möchten einige Politiker dem Vernehmen nach auf die jeweilige Heimatregion des Behinderten beschränken. Wie allerdings Blinde in einem fremden Verkehrsverbund die - überall üblichen - Fahrkartenautomaten bedienen sollen, das würde nicht nur DVBS-Pressesprecher Michael Herbst gerne wissen! Die Freifahrt für Schwerbehinderte in Bussen und Bahnen des Nahverkehrs ist keine großzügige Vergünstigung. Sie soll Behinderten ermöglichen, Wege mit Verkerhsmitteln zurückzulegen, die Nichtbehinderte problemlos zu Fuß bewältigen können. Und sie soll ihnen den Angstschweiß ersparen, wenn die Tasten des Fahrkartenautomaten für Rollstuhlfahrer oder Kleinwüchsige zu hoch angeordnet sind oder Blinde dessen Beschriftung und den Netzplan mit der Einteilung der Tarifzonen nicht lesen können. All das interessiert die herrschenden Politiker indes wenig. Ihnen geht es allein ums Geld! Das holen sie sich überall, wo sie es nur kriegen können. Dabei haben sie gerade die Blinden schon eifrig geschröpft: Zu Jahresbeginn wurde in Hessen das Blindengeld um 14 Prozent gesentk Die Einkommensgrenze für den Bezug von Blindenhilfe wurde auf Bundesebene um mehr als 50 Prozent abgesentk. DDDDDDDDDDDDDDDDieses Geld tritt bei Geringverdienern an die Stelle des eingesparten Blindengeldanteils. Beim Kampf gegen die Absenkung des Blindengeldes hatte Marburgs Oberbürgermeister Dietrich Möller die Betroffenen noch damit getröstet, dass sozial schwache Blinde den Ausfall durch die Blindenhilfe ersetzt bekommen. Das gilt nun aber nur noch für Menschen, die weniger als 690 Euro im MOnat verdienen. Soziale Verantwortung, Solidarität und Mitgefühl sind in der bundesdeutschen Politik zu exotischen Fremdwörtern geworden. Auch wenn sich die Parteien "sozialdemokratisch" oder "christlich" nennen, lässt ihre Politik christliche und soziale Werte kaum mehr erkennen. Stattdessen degeneriert die Sozialpolitik in Bund und Land zur reinen Fiskalpolitik. Erbschafts- und Vermögenssteuer sind für sie kein Thema. Da könnte man sich ja Ärger mit wichtigen Leuten einhandeln! So holen sie sich das geld lieber dort, wo sie weniger Gegenwehr vermuten: Bei den Sozial Schwachen! Behinderte betrachten die Verantwortlichen dabei ebenso wie Kranke, Erwerbslose und Rentner allein als "Profit-Center". Was werden sie wohl noch aus den Sozial Schwachen herausquetschen, bevor die gewaltig rebellieren? | ||
Ihr Kommentar |
© 2004 by fjh-Journalistenbüro, D-35037 Marburg