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Text von Dienstag, 30. July 2002


Eindämmen: ATTAC diskutierte Alternativen

Marburg * (FJH)
"Die Zuständigkeiten der WTO dürfen nicht ausgeweitet werden", forderte Li Lim Ching am Montagabend (29. Juli) im AudiMax. Die junge Frau aus Malaysia vertrat das "Third World Forum" bei der , Podiumsdiskussion "Eine andere Welt ist möglich! Alternativen zur neoliberalen Globalisierung". Unter der Leitung der Zeit-Redakteurin Christiane Grefe diskutierten außerdem die Chiapas-Expertin Ana Esther Cecena, Professorin für Wirtschaftswissenschaften an der Autonomen Universität Mexiko City, Wolfgang Sachs vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie und der SPD-Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer.

[ATTAC-Transparenteaktion]

Li Lim Ching forderte die reichen Länder auf, die "Entwicklungsländer" bei der Reform der World Trade Organisation (WTO) zu unterstützen. Über 100 Reformanträge aus Asien, Afrika oder Lateinamerika würden derzeit von den Ländern Europas, Japan und den USA blockiert. Stattdessen wolle die WTO ihr Regime auf nichtwirtschaftliche Themen ausweiten. Dem sollten die Teilnehmenden an der ATTAC-Sommerakademie Druck auf die Bundesregierung entgegensetzen, damit sie die "Entwicklungsländer" unterstützt.
Die gemeinsame Forderung aller Podiumsteilnehmer nach einem Ausbau regionaler Wirtschaftsstrukturen erläuterte Wolfgang Sachs anhand des Lachses, der vornehmlich aus Schweden oder Irland auf deutsche Tische kommt. Um ein Kilo Lachs zu "produzieren", wird in den großen Lachsfarmen fünf Kilo Fischmehl verfüttert. Dieses Fischmehl stammt beispielsweise aus Peru, wo die Fischgründe leergefischt werden, ohne dass die einheimische Bevölkerung daran ausreichend teilhat.
Neben dem Aufbau regionaler Erzeuger- und Vermarktungsstrukuren forderte Sachs auch ein Umdenken der Verbraucherinnen und Verbraucher. Sie sollten ihre Kaufentscheidungen stärker zugunsten ökologischer Produkte aus der heimischen Region treffen.
Eine derartige regionale Wirtschaftsstruktur sieht Hermann Scheer in der Solarenergie. Die Atomkraft schaffe wegen ihrer hohen Kosten und ihrer damit verbundenen Zentralisierung eher multinationale Großkonzerne. Solarenergie müsse hingegen dort gewonnen werden, wo sie auch verbraucht wird.
Die Schulden der "3. Welt" seien vor allem während der Ölkrise der 70er Jahre entstanden. "Seitdem" - so Scheer - "sind die Entwicklungsländer da nie wieder rausgekommen." In den meisten Ländern der "3. Welt" lägen die Ausgaben für Erdölimporte höher als die Verkaufserlöse aller im Land erzeugten Produkte.
Der Träger des Alternativen Nobelpreises warnte vor Vorstellungen vor einem "Global Government". Das Selbstbestimmungsrecht der Völker werde durch zu engmaschige internationale Verträge zu stark eingeschränkt. Derartige Vertragswerke seien wie "Beton"; man könne darin enthaltene Fehler später kaum revidieren. Scheer sprach sich deswegen für die Festschreibung von Zielvorgaben in internationalen Konventionen statt konkreter Einzelregelungen aus. So hätte im Kyoto-Protokol besser nur eine Verringerung der Treibstoffemissionen vereinbart werden sollen als der nun beginnende Handel mit "Emissionsrechten".
Die WTO - so Scheer - müsse eingedämmt werden. Sie nehme sich eine Vorrangstellung im Völkerrecht heraus, die durch nichts gerechtfertigt sei. Verträge zu Umweltschutz oder Arbeitnehmerrechten dürften nicht einfach hinter Regelungen der WTO zurückgestellt werden. Scheer schätzte es als realistischer ein, "der WTO das Rückgrat zu brechen" als sie gänzlich aufzulösen, wie es Jean Ziegler am Freitagabend (26. Juli) gefordert hatte.


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