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Text von Sonntag, 8. Dezember 2002


Preisträger: Außergewöhnliche Phantasie im Alltag

Marburg * (FJH)
Sie kommen immer näher. Von allen Seiten kreisen sie ihn ein. Die Treibjagd lässt Moritz Than nur noch den Weg auf den zugefrorenen See offen.
Für seinen Roman "Than" hat Thomas Lang am Samstag (7. Dezember) den Literaturpreis der Stadt Marburg und des Landkreises Marburg-Bidenkopf erhalten. Lang und sein Kollege Markus Orths lasen am Sonntag (8. Dezember) in der Waggonhalle.
Orths hat den mit 5.000 Euro dotierten Förderpreis für sein im Frankfurter Verlag Schöffling & Co. erschienenes Werk "Corpus" erhalten. Es schildert den Werdegang eines Priesters, in dessen Jugend er die Besucher der Lesung entführte.
Aus dem Kapitel "Confiteor" las Orths eine allmählich ins Groteske abgleitende Szene in einem Schuppen. Die beiden Hauptpersonen wollen dort heimlich eine Messe zelebrieren. Als Messgewand dient dem Jungen ein Betttuch, als Messkelch eine Blumenvase, die Hostien sind missratene Makronen und als Weihrauch dient Molto fill. Mit dem Gips möchten die beiden Jungs sich auch an der kleinen Schwester des angehenden Priesters rächen, die das Geschehen im Schuppen verpetzt hat. Doch die Rache endet mit einem unerwarteten Drama.
Ähnlich humorvoll ist auch Orths Geschichte vom Kraken, die er im Anschluss an das Romankapitel las. Der Autor erfindet verschiedene Versionen, wie er zu der Narbe auf seinem Bauch gekommen ist. Erst soll es eine Schwangerschaft gewesen sein, als das ihm keiner glauben will, erzählt er die Geschichte vom Kampf mit einem Kraken.
In der anschließenden Diskussion mit dem Publikum erklärte Orth, er erfinde seine Geschichten, um das Außergewöhnliche im Alltag aufzuzeigen. Phantasie sei ein tragendes Element von Literatur.
Orths Phantasie enthält jedoch auch immer etwas Alltägliches. Die Jungen und ihre Messe im dunklen Schuppen mögen jeden an seine eigene Jugend erinnern, der eine katholische Erziehung genossen hat.
Außergewöhnlich ist auch der mit 10.000 Euro dotierte Roman "Than" von Thomas Lang aus München. Aus seinem im Wagenbach-Verlag erschienenen Buch las Lang das Schlusskapitel. Darin treiben die Jäger den Ich-Erzähler Moritz Than auf den zugefrorenen See. Er gelangt zu einem Riss unter der oberen Schneeschicht. Todesphantasien vom Einbrechen weichen schließlich einer Szene im Krankenhaus.
Mit leiser Stimme, manchmal etwas unsicher, las Lang seine Geschichte vor. Wortspiele undt Hintersinn geben dem Text etwas Skuriles, das tiefere Schichten anrührt. So äußerte nach seinem Vortrag auch niemand den Wunsch nach einer Diskussion.
Beide Autoren haben indes überzeugt. So mag man der dreiköfigen Jury unter dem Vorsitz des Literaturwissenschaftlers Dr. Lutz Hagestedt für ihre gute Wahl gratulieren. Immerhin mussten sich die Juroren durch 662 Einsendungen durcharbeiten. Die ausgewählten Texte sind sicherlich beide eine gelungene Verknüfung von Außergewöhnlichem und Alltäglichem.


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