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Text von Samstag, 10. Februar 2007

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 Ein Mahner: Wulf warnt vor Armee-Outsourcing 
 Marburg * (fjh)
"Die neoliberale Privatisierungswut macht auch vor dem Militär nicht halt", stellt Prof. Dr. Herbert Wulf fest. Der Bonner Friedens- und Konfliktforscher warnt eindringlich vor den Folgen einer Privatisierung des staatlichen Gewalt-Monopols. Für diese Arbeit, aber auch für sein wissenschaftliches Lebenswerk hat Wulf am Freitag (9. Februar) in der Aula der Alten Universität den Peter-Becker-Preis für Friedens- und Konfliktforschung der Philipps-Universität erhalten.
Der von dem Marburger Rechtsanwalt Dr. Peter Becker gestiftete Preis ist mit einem Preisgeld von 10.000 Euro eine der höchstdotierten Auszeichnungen für Arbeiten in der Friedens- und Konfliktforschung. Ihr Augenmerk richtet die Vergabe-Kommission des Zentrums für Konfliktforschung (ZfK) der Philipps-Universität dabei auch auf die Realitätsnähe und die praktische Umsetzbarkeit der prämierten Forschungsergebnisse.
Einen orginellen Bezug zum Thema des abends stellte die Universitäts-Vizepräsidentin Prof. Dr. Katharina Krause in ihrer Begrüßungsrede her. Sie skizzierte mit den Themen der Bilder in der Alten Aula zugleich die Konflikte in der Marburger Universitätsgeschichte: Die Durchsetzung der Reformation in Hessen gegen den alteingesessenen Katholizismus im Jahr 1525, die Vertreibung der dominikaner aus ihrem Kloster und dessen Nutzung als Universitätsgebäude im Jahr 1527, aber auch die Darstellung der Heiligen Elisabeth zusammen mit ihrem Beichtvater Konrad von Marburg.
Auf dem Gemälde hielt Konrad ursprünglich eine Geißel in der Hand. Diese Darstellung sei konfliktträchtiger und damit interessanter gewesen als die Heilige allein bei der Pflege von Kranken, erläuterte Krause. Doch hätten die Universitätsprofessoren die Geißel dann kritisiert und schließlich veranlasst, dass sie nachträglich übermalt wurde. Die Alte Aula berge also sichtbare und unsichtbare Konflikte, resümierte Krause abschließend.
Konflikte hätten auch den Lebenslauf des Preisträgers geprägt, fügte Prof. Dr. Lothar Brock von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) in seiner Laudatio an. Eine Banklehre bei der Kreissparkasse Düren und selbst die anschließende Banker-Tätigkeit in den USA hätten Wulf nicht wirklich gereizt. Erst durch seine arbeit beim Deutschen Entwicklungsdienst (DED) habe er sich tatsächlich verwirklicht.
Stationen beim renommierten Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) und dem Hamburger Institut für Friedens- und Konfliktforschung hätten Wulf schließlich dazu geführt, im Jahr 1994 die Leitung des neugegründeten Bonn International Center for Conversion (BICC) zu übernehmen. Mit seinem Ausscheiden im Jahr 2001 habe er ein weltweit angesehenes Institut an seinen Nachfolger übergeben, um seinen "Ruhestand" an der Queensland University im australischen Brisbane mit neuen Forschungsvorhaben zu beginnen.
"Nicht nur Rüstungsprojekte können in eine zivile Nutzung konvertieren, sondern auch Kriege können in ein gigantisches Geschäft konvertieren", fasste Brock die Kernthesen des Preisträgers zusammen. Wulf skiziierte anschließend in einem brillanten Vortrag die Gefahren, die von der weltweit stattfindenden Privatisierung des staatlichen Gewalt-Monopols ausgehen. Das Gewalt-Monopol müsse deswegen neu definiert und dann konsequent durchgesetzt werden, forderte er.
Zu Beginn des Irak-Kriegs habe ein ehemaliger Elite-Soldat der amerikanischen delta-Forces ein privates "Sicherheits"-Unternehmen gegründet. Es habe den Personenschutz für prominente Politiker im Irak übernommen. Mittlerweile erwirtschafte diese Firma einen Jahresumsatz von 250 Millionen US-Dollar.
Die neoliberale Forderung nach einem "schlanken Staat" mache auch vor dem Militär nicht halt. Armeen würden verkleinert. Aufgaben wie die Verpflegung der Soldaten oder logistische Aktivitäten würden an private Unternehmen übertragen. Selbst Kampftruppen könne man gegen Geld mieten.
Nach der Verkleinerung der Armeen gebe es weltweit genügend gut ausgebildete Söldner, die diesem "Markt" ihre Dienste anböten. Sogar moderne Kampf-Jets mit Piloten könne man heutzutage leasen. Gegen Geld könnten heute also nicht nur Regierungen mit dem Einsatz von Kriegswaffen drohen oder sie sogar einsetzen. Damit drohe die demokratische Kontrolle über das Gewalt-Monopol verlorenzugehen, warnte Wulf eindringlich.
Meistens von wirtschaftlichen oder politischen Interessen geleitete Interventionen von außen stellten das nationale Gewalt-Monopol zusätzlich in Frage. Sowohl völkerrechtswidrige Interventionen als auch solche mit einem Mandat der Vereinten Nationen (UN) verfolgten nur selten das Ziel, die Menschenwürde der Bewohner des betreffenden Landes zu schützen, meinte der Friedensforscher.
Das staatliche Gewalt-Monopol in seiner bisherigen Form hält Wulf aber für überkommen. An seine Stelle möchte er ein gestuftes gewalt-Oligopol setzen, das nach dem Subsidiaritätsprinzip funktioniert: Als oberste Eebene sieht er dabei die UNO, dann die jeweiligen Regional-Zusammenschlüsse wie die Europäische Union (EU) oder die Organisation Afrikanische Einheit (OAU). Die dritte Stufe schließlich seien die klassischen Nationalstaaten. Schließlich müsse es auch noch eine vierte Ebene geben, auf der die Menschen direkt in Vereinen oder Nicht-Regierungs-Organisationen (NGO) ihre Konflikte regeln.
Die Konfliktlösung müsse immer auf der möglichst niedrigsten Ebene stattfinden. Allerdings müsse sie klaren Regeln folgen. Diese wiederum müssten nach dem Prinzip des Subprimat von oben nach unten gelten.
Sollte der derzeitige Trend zur Privatisierung des Gewalt-Monopols weitergehen, sieht Wulf eine gefährliche Schwächung der Staaten und damit der demokratisch legitimierten Entscheidungsstrukturen voraus.
In diese Kerbe hieb zum Schluss auch der Festredner Hans-Christof Graf von Sponeck. Der ehemalige Beigeordnete des UN-Generalsekretärs und bis 2003 Chef des Un-Hilfsprogramms "Oil for Food" im Irak warnte vor der gravierenden Ungleichheit in der Welt. Wer in Norwegen geboren werde, habe eine statistische lebenserwartung von 80 Jahren. In manchen afrikanischen Ländern betrage sie nur die Hälfte. Wer in deutschland einen Arbeitsplatz habe, verdiene ein durchschnittliches Jahreseinkommen von 22.000 Euro. Im Kongo betrage es - kaufkraft-bereinigt - nur 750 Euro.
Deswegen sprach sich der pensionierte UN-Beamte für eine andere Definition von Globalisierung aus, die der Sohn eines nach dem 20. Juli 1944 hingerichteten Widerstandskämpfers dem Altmeister der Friedens- und Konfliktforschung entlehnt hatte. Prof. Dr. Johann Galtung hält eine positive Globalisierung dann für erfüllt, "wenn die beiden Geschlechter, alle drei Generationen und Menschen aller Hautfarben überall auf der Welt in Würde zusammenleben können."
 
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