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Text von Donnerstag, 5. July 2007

> s o z i a l e s<
  
 Schirrmacher: Demografischer Wandel als Chance 
 Marburg * (sts)
"Unsere Vorstellungen über die menschliche Lebensdauer sind 200 Jahre alt", behauptete Frank Schirrmacher. Der Mitherausgeber und Feuilleton-Chef der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) sprach am Mittwoch (4. Juli) im Rahmen der "Nowa Zukunftsmesse" zum Thema "Gesellschaft vor der Zukunft - Wo kommen wir an, wenn wir nicht losfahren".
Vor rund 400 Anwesenden stellte Schirrmacher den demografischen Wandel als ein unaufhaltsames und völlig neues Phänomen dar, das die Gesellschaft tief greifend verändern werde. Sein pointierter und mit zahlreichen Anekdoten durchsetzter Vortrag benannte sowohl Risiken als auch Chancen dieser Entwicklung.
Entscheidend sei, dass ein gesellschaftliches Umdenken einsetze: "Wir dürfen unser Leben nicht mehr auf die 15 Jahre zwischen dem 20. und 35. Lebensjahr beschränken. Wir müssen dahin kommen, auch mit 60 noch einen Neuanfang machen zu können und zu wollen. Im Augenblick verschwenden wir regelrecht unsere Lebenszeit."
Weder über die Geburtenrate, noch über Zuwanderung sei die Alterung der Gesellschaft zu verhindern. "Der Zug ist abgefahren", machte Schirrmacher unmissverständlich klar.
Die Gesellschaft könne sich nicht länger erlauben, Menschen jenseits der vierzig als zu alt für Arbeitsmarkt und Neuanfang anzusehen. "Eine im Jahre 2000 geborene Frau wird mit einer 60-prozentigen Wahrscheinlichkeit das Jahr 2100 erleben", verwies Schirrmacher auf die explosionsartig steigende Lebenserwartung.
Zudem verschiebe sich die Phase des "gesunden Alterns" immer weiter nach hinten. Ein heute 70-Jähriger sei in seiner Leistungsfähigkeit mit einem 49-Jährigen aus dem Jahre 1960 vergleichbar.
Diese Vorgänge seien bisher aber weder in den Köpfen der Menschen, noch in allen Bereichen der Politik angekommen. "Unsere Sozialsysteme implodieren spätestens im Jahre 2020. Daran wird auch die Rente mit 67 nichts ändern", erklärte der Journalist und Buch-Autor.
In Ländern wie Japan oder Finnland werde dieser Entwicklung bereits Rechnung getragen. Gezielt würden ältere Arbeitnehmer eingestellt, frei nach dem Motto "Arbeit macht jung".
Auch die deutschen Märkte reagierten langsam auf den demografischen Wandel. "Wo in der ADAC-Motorwelt 1985 noch für Rallye-Streifen Werbung gemacht wurde, finden sich heute fast ausschließlich Treppenlifte", veranschaulichte Schirrmacher diese These. Die geburtenschwachen Jahrgänge könnten die Märkte nicht mehr dominieren, daher
werde sich auch die Kultur auf Dauer verändern. Schon heute zielten die Radio-Sender mit ihrem Programm verstärkt auf die Hörer über 30 Jahre.
Um aber den demografischen Wandel letztlich gewinnbringend nutzen zu können, müsste das Alter endlich von seinem medial inszenierten und in den Köpfen der Bevölkerung fest verankerten Negativ-Image wegkommen. Schließlich gebe es immer mehr fitte 80- bis 90-Jährige, deren Geheimnis in einem gewissen Größenwahn bestehe.
Als Beispiel hierfür nannte Schirrmacher abschließend Marcel Reich-Ranicki, der ihn kürzlich zu einer Ausstellung in das Jüdische Museum in Frankfurt anlässlich seines 100. Geburtstags eingeladen hat. Reich-Ranicki ist gerade 87 Jahre jung geworden.
 
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