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Text von Samstag, 6. Januar 2007

> s o z i a l e s<
  
 Pistolen gezeigt: Brutale Räuber en Masse 
 Marburg * (fjh)
Drei bewaffnete Raubüberfälle innerhalb einer einzigen Woche hat die Marburger Polizei im Januar schon gemeldet. Jedesmal verliehen die Räuber ihrer Forderung mit einer Pistole Nachdruck. Angesichts dieser Bedrohung stellt sich der erschrockene Zeitgenosse die bange Frage, ob das jetzt das Ergebnis der allseits gepriesenen Forderung nach "Eigenverantwortung" ist: Jeder für sich, ohne Rücksicht auf alle anderen!
Brutalität hat es freilich schon immer gegeben. Kriminalität ist gewiss kein Ergebnis der "modernen Zeiten". Aber der Anstieg der Kriminalität und der dabei gezeigten Brutalität lässt sich durchaus auf gesellschaftliche Rahmenbedingungen zurückführen.
Noch bis in die 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts hinein gab es auch in Deutschland viele Dörfer, wo die Haustüren grundsätzlich unverschlossen blieben. Jeder achtete auf den Besitz der anderen und stand notfalls auch für sie ein. "Solidarität" lautet das - mittlerweile beinahe altertümlich klingende - Wort für dieses Verhalten der Menschen. Damals war sie absolut selbstverständlich.
Doch seit einigen Jahren wiederholen Politiker vor allem wirtschaftsnaher Richtungen gebetsmühlenartig die Forderung, die Menschen müssten mehr "Eigenverantwortung" auf sich nehmen. Gleichzeitig sägen sie unermüdlich an den Sozialsystemen, die der deutschen Bevölkerung zuvor mehr als 100 Jahre lang gesellschaftlichen Frieden garantiert hatten.
Die FDP ist leider nicht die einzige Partei, die die bewährten Systeme der Sozialen Sicherung aushöhlen oder ganz abschaffen möchten. Ihr Vorsitzender Guido Westerwelle bezeichnete das solidarische Einstehen füreinander beim traditionellen "Dreikönigstreffen" seiner Partei am Samstag (6. Januar) verächtlich als "Sozialismus".
Gewinne - und immer mehr davon - auf Kosten der Beschäftigten und damit der Arbeitslosenversicherung, der Steuern und damit des Staates und der Gesellschaft, auf Kosten der Gesundheit und damit wieder der Sozial-Systeme und auf Kosten der Natur und damit der künftigen Generationen scheinen der Götze des 21. Jahrhunderts zu sein. Ihm opfern auch die meisten Politiker auf einem Altar, den sie "Standort" nennen.
Leidtragende sind die Menschen vor allem dann, wenn sie krank oder alt werden. Längst garantiert das sogenannte "Gesundheit-System" keine vollständige Übernahme aller Krankheits-Kosten mehr. Längst reicht das Budget der sogenannten "Pflegeversicherung" nicht mehr aus, um die notwendigen Dienste alle zu finanzieren und den Betroffenen gleichzeitig auch noch die unverzichtbare persönliche Zuwendung zu gewähren. Längst reicht das Arbeitslosengeld II (ALG II) nicht mehr, um ein Leben in Würde zu führen. Längst drängt die Politik die Armen in unwürdige Bittsteller-Positionen ab und überzieht sie mit gesetzlich verankertem Generalverdacht.
Wenn die Politik sich gegenüber den Menschen rücksichtslos und brutal verhält, dann darf man sich auch nicht wundern, wenn die Menschen ihrerseits immer brutaler werden. Brutalität ist zwar durch nichts zu entschuldigen, doch gilt das auch für eine brutale Ausübung der Macht.
Auch 124 Jahre nach seiner Verkündung anlässlich der Antrittsvorlesung an der Philipps-Universität Marburg hat Franz-Eduard von Liszts Spruch noch nichts von seiner Brisanz verloren. Der Begründer des "Sozialen Strafvollzugs" formulierte schon 1882 in seinem "Marburger Manifest" den prägnante Forderung: "Die beste Kriminalpolitik ist eine gute Sozialpolitik."
Dem ist auch heute nichts hinzuzufügen.
 
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