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Text von Samstag, 6. Oktober 2007

> p o l i t i k<
  
 Kriminell: Höllenlärm um Fünf vor Zwölf 
 Marburg * (fjh)
In der Bahnhofshalle stehen Fahrgäste in kleineren Gruppen zusammen. Einige laufen geschäftig hinab in den Tunnel zu den Gleisen. Vor den Schaltern hat sich eine lange Schlange gebildet.
Es ist 11.55 Uhr. Plötzlich ertönt ein ohrenbetäubender Lärm. Trillerpfeifen quietschen schrill in den Ohren der Umstehenden. Ein blechernes Scheppern wie vom Klappern einiger Deckel auf Töpfen ist ebenfalls zu hören.
Zwei Minuten lang hält der Höllenlärm in der Bahnhofshalle an. Dann verstummt er ebenso plötzlich, wie er angefangen hat.
Nun drehen sich diejenigen Menschen, die zuvor gerade noch Lärm mit Trillerpfeifen und Topfdeckeln gemacht haben, hin und her. Dabei halten sie DIN-A4-Zettel über ihre Köpfe. Darauf steht die Gleichung "183 = 13".
Mit einem "Flash Mob" haben die Marburger ATTAC-Gruppe und andere Kritiker der geplanten Bahn-Privatisierung am Samstag (6. Oktober) gegen die Verschleuderung von Volksvermögen unter Wert demonstriert. Ihre "Blitz-Demo" hat pünktlich um 11.55 Uhr im Marburger Hauptbahnhof begonnen. Bereits um 11.57 Uhr endete sie mit dem Zeigen der Zettel. Laut knisternd wurden sie anschließend zerknüllt und dann geräuschvoll in die Papierkörbe in der Bahnhofshalle gesteckt.
Nach dem Ende der Aktion hat sich Tim Zwickel von der Marburger ATTAC-Gruppe draußen vor dem Bahnhofsportal aufgebaut. Er ist sehr zufrieden mit der kurzen Manifestation.
"Flash Mob" übersetzt er mit "Blitz-Demo". Unter diesem englischsprachigen Begriff verstehe man kurzzeitige Aktionen, bei denen die Akteure für wenige Minuten zusammentreffen und sich hinterher gleich wieder voneinander trennen.
Die Zahl 183 auf den Zetteln steht für den Wert des Anlagevermögens der Deutschen Bahn AG (DBAG). Der Wert dieses Vermögens wird auf 183 Milliarden Euro geschätzt. Verkaufen möchte Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee die Aktien aber nur für insgesamt 13 Milliarden Euro.
Dagegen wendet sich der bundesweite "Flash Mob". In mehr als 50 Bahnhöfen haben gut 2.000 Menschen mit solchen Blitz-Demonstrationen gegen die geplante Bahn-Privatisierung protestiert. Unter anderem in den Hauptbahnhöfen von Berlin, Hamburg, Frankfurt, Dresden und München wurde pünktlich um fünf vor zwölf für zwei Minuten mit Trillerpfeifen, Topfdeckeln und Trommeln Alarm vor der drohenden Privatisierung geschlagen, teilte das Bündnis "Bahn für Alle" mit.
"Bahn-Privatisierung in die Tonne kloppen", lautete der Titel des Aufrufs zum zweiten bundesweiten "Flash Mob" gegen Bahn-Privatisierung, der im Internet und per SMS kursiert hatte. In mehr als 50 Bahnhöfen Deutschlands haben zeitgleich ähnliche Aktionen stattgefunden wie in Marburg.
Etwa 40 Menschen haben sich hier an der Blitz-Demonstration beteiligt. Ebenso schnell, wie sie gekommen sind, haben sie sich hinterher auch wieder in alle Winde verteilt.
Zwickel fürchtet, dass es dem Volksvermögen ebenso ergehen könnte: Mit der Ausgabe der DB-AG-Aktien könnten Investoren in den Besitz der Bahn-Anlagen gelangen, die in erster Linie Geld damit verdienen möchten. Dadurch entstehe die Gefahr einer Zerschlagung des Eisenbahnwesens in Deutschland.
Mit Postkarten hatte sich ATTAC deswegen an die Marburger SPD gewandt. Ihr Bundestagsabgeordneter Sören Bartol ist stellvertretender Vorsitzender des Verkehrsausschusses im deutschen Bundestag. Er befürwortet den Börsengang der DBAG.
Doch statt die Beschwerdeschreiben selbst zu beantworten, hatte die Marburger SPD sie an Bartol weitergereicht. Von ihm erhielten die 300 Beschwerdeführer später eine abwiegelnde Antwort.
Bei einer internen SPD-Veranstaltung am Dienstag (25. September) hatte Bartol dann anscheinend versucht, seine "Genossen" auf Linie zu bringen. Zwickel und andere Kritiker waren von dieser Veranstaltung ausgeschlossen worden.
Eine weitere Veranstaltung mit Bartol stehe nun bevor, berichtet Zwickel. Aber auch dort sei der Zugang für Kritiker anscheinend wieder nur begrenzt.
Als demokratisches Verhalten kann Zwickel diese Vorgehensweise des SPD-Abgeordneten nicht akzeptieren. An Bartol pralle jede Kritik einfach ab, meint er. Dabei teile die breite Mehrheit der Bundesbürger die Auffassung von ATTAC, wonach die DB-AG nicht veräußert werden sollte.
 
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