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Text von Samstag, 24. März 2007

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 Generation Nachhilfe: Gedenkstunde geriet zum Protest 
 Marburg * (sts)
Das Gedenken an die Deportation und Ermordung von Sinti aus Marburg im Jahre 1943 geriet am Freitag (23. März) zu einer Protestveranstaltung. Vor dem Bauamt hatten sich rund 40 Sinti versammelt, um ihrem Wunsch auf eine adäquate zusätzliche Bildungsförderung Nachdruck zu verleihen.
Vor genau 64 Jahren waren Sinti aus Marburg und Umgebung vom damaligen Landratsamt des Kreises Marburg - dort befindet sich heute das Bauamt - aus in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert worden. Bis Kriegsende wurden über 500.000 Sinti und Roma in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern ermordet.
"Das Unrecht darf nicht vergessen werden", forderte Oberbürgermeister Egon Vaupel (SPD). Gemeinsam mit Stadtverordnetenvorsteher Heinrich Löwer und dem Vorsitzenden des hessischen Landesverbands der Sinti und Roma, Adam Strauß, brachte Vaupel einen Gedenk-Kranz an dem Gebäude an.
Strauß verwies in seiner Ansprache auf die 600-jährige Geschichte der Sinti und Roma in Deutschland: "Seit fünf Generationen leben Sinti in Marburg. Wir fühlen uns als deutsche Staatsbürger."
Dennoch bestünden nach wie vor viele Vorurteile: Laut einer Emnid-Umfrage von 1998 wollten 68 Prozent der Deutschen keine Sinti und Roma als Nachbarn haben.
Vehement forderte Strauß den Magistrat auf, seinen Verpflichtungen zum Minderheitenschutz nachzukommen. Bereits 1998 hatte die Bundesrepublik die Sinti und Roma als nationale Minderheit anerkannt und sich verpflichtet, das auch in innerstaatlichen Rechtsvorschriften zu verwirklichen.
2005 schloss die Stadt Marburg ein Abkommen mit den Sinti, in dem sie sich zum Schutz vor Diskriminierung, zur Chancengleichheit und zur Förderung und Kulturpflege verpflichtet. Auch ein Sonder-Betreuungsbedarf für Sinti-Kinder wurde anerkannt, der im Jahr 2007 mit 5.000 Euro unterstützt wird.
Als blanken Hohn bezeichnete Strauß diese Summe: "Jedes der betroffenen zehn Kinder wird damit 4 Minuten 35 Sekunden täglich gefördert."
Es bestehe aber ein besonderer Aufklärungs- und Beratungsbedarf zum Thema Bildung und Schule sowohl bei den Eltern als auch den Kindern. Sein Verband fordert deshalb die Einrichtung einer Mentoren-Stelle, die zwischen Stadt, Verband, Schulen und Familien vermittelt.
Vaupel versuchte, zu beschwichtigen: "Es gibt keinen Konflikt über die Förderung selbst, sondern nur über die genaue Ausgestaltung." Er könne es nicht rechtfertigen, eigens für zehn Kinder eine neue Stelle einzurichten, die mit 25.000 bis 30.000 Euro jährlich zu Buche schlage.
Man werde sich in Kürze an einen Tisch setzen, um eine einvernehmliche Lösung zu finden. Allerdings räumte Vaupel ein, dass die Positionen derzeit weit auseinander liegen.
 
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