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Text von Samstag, 17. November 2007

> k u l t u r<
  
 Kabarettherbst: Wilfried Schmickler im KFZ 
 Marburg * (jnl)
Als großer Slam-Poet der 50+-Generation und Meister schwarzhumoriger Satire zeigte sich am Freitag (16. November) im Kulturladen KFZ der Kabarettist Wilfried Schmickler. Der Kölner ist seit Jahren im Fernsehen präsent in den WDR-Mitternachtsspitzen
Schmickler gilt als derzeit schärfster Barbier des politischen Kabaretts in Deutschland. Sein aktuelles Solo-Programm "Zum Dritten" brachte ihm - wie schon 2005 - ein ausverkauftes Haus.
Die Veranstaltung stehe unter Beobachtung, warnte Schmickler beim Betreten der Bühne. Witze über Religiöses könne man sich nicht mehr leisten. Mit einer Satire auf die Berliner Opern -Absetzung als Akt peinlicher Selbstzensur hatte er das Publikum leicht auf seiner Seite. Und Witze über Groß-Moscheen und Joachim Kardinal Meisner machte er natürlich erst recht!
Gekonnt schlüpfte der 53-Jährige in die Rolle eines Auktionators, der den Total-Ausverkauf des deutschen Sozialstaats ausruft. Eile sei geboten, denn "der Chinese schläft nicht".
Das Gebot der Stunde im 21. Jahrhundert sei "Privatisieren statt Investieren"! Das könne man täglich besichtigen. Zum Beispiel geschehe das bei der schlechten Infrastruktur der Deutschen Bahn AG (DBAG).
Mit den Einrichtungen würden zugleich auch die althergebrachten Werte entsorgt. Mit "sowas wie Ehrlichkeit" tauge man bald nur noch für's Varieté als August Weißclown.
Scharfsichtig beobachtete Schmickler : während der Staat sich beschleunigt selber "wegsaniert", hat es irgendwie niemand so richtig interessiert.
Ähnlich ergehe es der Erd-Erwärmung: Pfeifen im Regenwald. Wohl gebe es viele Reaktionen, aber nur wenige ernsthafte.
Schmicklers - auch optisch ansprechend inszenierte - Gesangseinlage "Weine nicht, wenn der Regen fällt" sowie seine Parodie auf die zahlreichen "Mehr-Schönes-Wetter"-Deppen brachte fetten Applaus.
Mit einer schrägen Dia-Show kommentierte Schmickler die Umtriebe der Großen Koalition. Wie er den Kuhhandel als Grundprinzip und den Volksverlust als Resultat ausdeutete, das war ein Ohrenschmaus. Mit seiner ausgefeilten Vortragskunst hätte der Kabarettist glatt Chancen, bei einem Poetry Slam in die Endausscheidung zu kommen.
Die alte Tante SPD komme wegen ihres "Spitzen"-Personals bei den Leuten nicht mehr an, klagte er scheinheilig. Da helfe nur ein sogenannter "Relaunch". Zum Beispiel käme Kurt Beck - neu inszeniert - als "Fass aber krass", Peer Steinbrück als "pleite aber pille palle" und Ulla Schmidt als "krank aber crazy" sicher besser an. Nur bei Sigmar Gabriel sei der Slogan "taubi aber nussi" noch in Arbeit.
Während die Regierung mit sich selbst und dem Ausverkauf des Sozialstaats beschäftigt sei, wüchsen in Deutschland die No-go-Areas. Schmickler geißelte die geringe öffentliche Beachtung der sich ausbreitenden braunen Landstriche. Stattdessen spiele man lieber weiter Asylanten-Hetzen nach dem Motto "Beckstein, Beckstein, alles muss versteckt sein."
Als Wertkonservativer entpuppte sich Schmickler in seinen Pointen zu Zweit-Handy-Trend, TV-Koch-Shows und Wortschatz-Verfall bei den Deutschen. Einen "Triumphzug der Gosse" beobachtete er bei den Schulkindern. Von ihrem Rest-Sprachschatz von 500 Wörtern würden 200 mit dem Schmodderwort "geil" kombiniert.
Diese Jugendsprache verliere sich später? In den USA gebe es millionenfach Leute, die in fünf Minuten locker fünfzig mal "fucking" unterbrächten. Aber wie sagte "der letzte große Deutsche Lothar Matthäus" es so treffend: "Wir müssen den Sand nicht in den Kopf stecken."
 
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