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Text von Freitag, 13. July 2007

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 Hoffnungsträgerin: Scheuermann las im TTZ 
 Marburg * (jnl)
Eine Hoffnungsträgerin der deutschen Literatur-Szene ist Silke Scheuermann aus Frankfurt. Sie gastierte am Donnerstag (12. Juli) im Technologie- und Tagungszentrum (TTZ).
Die vor allem als Lyrikerin bekannt gewordene 34-Jährige stellte auf Einladung des Marburger Literaturforums ihren Roman-Erstling "Die Stunde zwischen Hund und Wolf" vor.
Kurz davor war die in den letzten Jahren mit zahlreichen Förderpreisen ausgezeichnete Nachwuchs-Literatin Teilnehmerin des stark medienbeachteten Wettlesens zum Ingeborg-Bachmann-Preis gewesen. Dennoch waren nur rund vierzig zahlende Literaturfreunde zur Autorenlesung ins Forum des TTZ gekommen. Der eher zurückhaltende, introvertierte Stil ihres Auftritts lieferte eine naheliegende Erklärung dafür nach, warum sie sich gegen expressiver auftretende Wettbewerber und Konkurrentinnen dort nicht auf dem Siegerpodest wiederfand.
Der Anfang des Jahres erschienene Roman handelt vom Zusammentreffen zweier ungleicher Schwestern nach langjähriger Distanz zueinander. Die ursprüngliche Bewunderung der Jüngeren für die ältere Schwester war in das Gegenteil umgeschlagen. Denn die als Kunstmalerin ihre Existenz bestreitende "große Schwester" ist zwischenzeitlich zur Alkoholikerin heruntergekommen. Die Jüngere als Ich-Erzählerin möchte nicht erneut in die Rolle der Helfenden gedrängt werden. Durch ihren beruflich bedingten Umzug in die gleiche Stadt kann sie aber dem Kontakt nicht auf Dauer ausweichen. Auch eine sich anbahnende Verliebtheit ausgerechnet in den Freund ihrer Schwester trägt zum Konflikt bei.
Die Autorin ging in der Wahl ihrer Lese-Passagen diesem zentralen Plot des Romans eher aus dem Weg. Stattdessen schilderte sie zahlreiche Nebenhandlungen aus dem bewegten Affärenleben ihrer Protagonistin. Welchen Herausforderungen findet man sich gegenüber, wenn man eine Beziehung zu einem Kollegen aus der gleichen Redaktion eingeht? Wie abgebrüht sind Scheidungskinder schon im Grundschulalter, wenn sie häufig Neu-Partnerinnen ihres Vaters begegnen? Welche Respektsbekundungen sind heute beim Flirten zeitgeistgemäß und zielführend? Solche Fragestellungen standen im Mittelpunkt der durchaus gelungen beschriebenen Momentaufnahmen aus dem Frankfurter Großstadt-Beziehungsleben.
Auch die Komik kam nicht zu kurz. Ein Beispiel für einen der typischen großstadtneurotischen Dialoge: "Natürlich braucht wer Charme hat keinen Verstand. - Wie bitte? - Ach nichts!" Und als das Paar sich annähert: "Der Paranuss-Effekt ist wichtig. Er hat für die Physik der granularen Bewegung die gleiche Bedeutung wie die Fruchtfliege für die Gentechnik." Derart turtelnde Männer sind manchmal schon komische Gestalten. Im übrigen unterhält sich so ein Pärchen zur Einstimmung auf die gemeinsame Liebesnacht ausgerechnet mit dem gemeinsamen Konsum eines Horrorvideos über Frankensteins Braut.
Silke Scheuermann verwendet für ihre mit sehr kühlem Blick eingefangenen Beziehungsbilder eine Art Kameraperspektive. Und die ausgewiesene Lyrikerin fasst sich immer bemerkenswert kurz und zupackend. Daher reichen ihr 160 Seiten, wo Andere 360 liefern würden.
In der anschließenden Fragerunde drehten sich viele Nachfragen um diese Art zu schreiben. Die Autorin erläuterte, dass sie durch ständiges Überarbeiten und Kürzen ihrer Text-Entwürfe dazu gelange, die Sätze der endgültigen Fassung stärker aufzuladen. Sie sei im übrigen fasziniert und teilweise orientiert am Vorbild des französischen Nouveau Roman. Auch der arbeite stark mit den Techniken des Lückelassens, so dass die Leser ihre eigene Phantasien hineingeben könnten. Auch sei sie tatsächlich weniger am straffen Handlungsplot interessiert als an gelungenen, atmosphärisch dichten Momentaufnahmen. Ach ja, dass der Roman-Plot nicht autobiographisch ist, verstehe sich wohl von selbst, sie habe auch gar keine Geschwister.
Zum emphatisch beklatschten Abschluss las die Lyrikerin aus noch unveröffentlichten Gedichten. Zur diesjährigen Frankfurter Buchmesse wird ihr dritter Lyrikband herauskommen. Es handelt unter anderem von einem Tätowierten beim Liebesakt sowie von Distanz und einem bestimmten Licht. Zitate: "Wir standen zwischen der Kerze und den Sternen." "Wir glaubten in einen Spiegel hineinfliegen zu können, der nicht splitterte."
 
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