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Text von Mittwoch, 16. Mai 2007

> k u l t u r<
  
 Bissig: Pispers politische Pointen 
 Marburg * (fjh)
"Heben Sie die Eintrittskarten gut auf!", riet Volker Pispers am Dienstag (15. Mai) den knapp 1.000 Besuchern der Stadthalle. Auf Einladung des Kulturladens KFZ gastierte der Kabarettist dort mit seinem Programm "Bis neulich".
Gute drei Stunden lang feuerte
Pispers seine satirischen Scharfschüsse ab. Nur eine Pause von 20 Minuten genehmigte der spitzzüngige Alleinunterhalter sich und seinem Publikum. Dennoch lauschten die - vereinzelt sogar auf dem Fußboden sitzenden - Menschen gebannt seinen Ausführungen und den dazwischen immer wieder herausspringenden Pointen.
Das Kabarett sei eine Form der "linken" Gesellschaftskritik, nahm sich der Niederrheiner selbst auf den Arm. Wenn demnächst einmal das neoliberale Wirtschaftssystem abgeschafft werde, dann könne jeder Kabarett-Besucher behaupten: "Ich war im Widerstand." Zum Beleg brauche er dann nur den Karton mit den Eintrittskarten hervorzukramen.
Die Gesellschaftskritik des Kabaretts sei eine schöne Sache. Während der Pause könne man "die im Hals steckengebliebenen Pointen mit Champagner herunterspülen", stichelte Pispers.
Beißender Spott prägte seinen Rundschlag auf die deutsche und internationale Politik der vergangenen Jahre. Geradezu analytisch arbeitete er Zusammenhänge heraus und zog - oft frappierende - Vergleiche.
Als Kind habe er alles mit seiner Schwester teilen müssen. Die Hälfte habe er immer abgeben müssen. "Spitzensteuersatz im Kinderzimmer", jammerte er laut auf.
Die Steuerpolitik nahm Pispers an diesem Abend genauso auseinander wie die Senkung der Lohn-Nebenkosten: "Wissen Sie, was das ist? Das ist eine verdeckte Lohn-Kürzung!"
Dem Arbeitgeber sei es egal, welcher Bestandteil des von ihm entrichteten Entgelts gekürzt werde. Ihm sei nur wichtig, weniger zu zahlen.
Das eingesparte Geld fehle hinterher jedoch in den Öffentlichen Haushalten. Das bedeute dann weniger Straßen oder Krankenhäuser und weniger Subventionen für Kultur.
Gegenfinanziert wurde die Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zudem durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer. Die zahle ohnehin wieder der "Kleine Mann".
Informativ und lehrreich waren Pispers Ausführungen auch zur internationalen Politik. Vom Allende-Putsch im Jahr 1973 angefangen, skizzierte er die menschenverachtende Politik der unterschiedlichen US-Regierungen. Für den Mord-Auftrag gegen den demokratisch gewählten chilenischen Präsidenten Salvador Allende sei der damalige US-Außenminister Henry Kissinger verantwortlich. "Dafür bekommt man den Friedens-Nobelpreis", empörte sich Pispers.
Den irakischen Diktator Saddam Hussein habe die US-Regierung lange Zeit unterstützt. Waffen für den Krieg des Irak gegen das Nachbarland Iran habe "Onkel Rumsfeld" ebenso geliefert wie auch die damalige Bundesregierung unter dem CDU-Kanzler Helmut Kohl.
Als Hussein gegen den Iran nichts habe ausrichten können, sei er stattdessen in Kuwait einmarschiert. Dort habe er sich die Ölquellen aneignen wollen, die ihm die US-Regierung für den Fall eines Siegs gegen den Iran versprochen hatte. Doch hier passte die Intervention George Bush Senior nicht.
Saddam sei daraufhin zu einem "zweiten Hitler" hochstilisiert worden. Er sei "das Arschloch im Schrank" gewesen, das George Bush Junior nach den Anschlägen vom 11. September 2001 wieder herausgeholt habe, um einen "Schuldigen" zu "bestrafen".
Die Sicherung der Energiequellen sei ein tragendes Motiv der internationalen Politik, resümierte Pispers. Dieses Motiv leite die US-Regierung auch bei ihrem Verhalten gegenüber dem Iran.
Die Regierung in Teheran habe den Atomwaffen-Sperrvertrag unterschrieben. Er erlaube ausdrücklich die Anreicherung von Uran zu friedlichen Zwecken. Davon wolle Ministerpräsident Mahmud Ahmedi-Nejad nur Gebrauch machen.
Deutschland tue das Gleiche, erklärte Pispers. Dem Iran misstraue man hier jedoch. "Gegenüber Deutschland besteht kein Grund zum Misstrauen", berichtete er. Deutschland habe in den letzten 150 Jahren schließlich nur zwei Weltkriege angezettelt!
Mit zahlreichen Zahlen garnierte Pispers seine Ausführungen: Jedes Jahr sterben 15.000 Menschen durch Kurpfuscherei von Ärzten. Was wäre wohl, wenn einen Monat lang jede Nachrichten-Sendung im Fernsehen mit dem Satz endete: "Auch heute sind in Deutschland wieder 38 Menschen durch Ärzte-Pfusch ums Leben gekommen"?
"Die Menschen erfahren nur das, was sie wissen sollen." Dieser Bevormundung möchte Pispers seine Sicht der Politik entgegensetzen. Er setzt auf Aufklärung und Anstöße zum eigenen Weiterdenken.
Mitunter bleiben dem Zuhörer die Pointen dabei wirklich im Halse stecken. Wenn der Kabarettist eine beschwichtigende Äußerung des Bundesinnenministers über das Gefangenenlager Guantanamo Bay mit dem Vorschlag beantwortete, man solle Wolfgang Schäuble doch vielleicht einmal einen Monat lang in einen Käfig einsperren, dann spürte man seinen "heiligen Zorn" über diese rücksichtslose Politik.
Mitunter geriet sein Kabarett gleichzeitig zu einer Geschichts-Lektion oder zum Politik-Unterricht. Doch immer war es spannend, unterhaltsam und witzig.
Mit ohrenbetäubendem Applaus rang das begeisterte Publikum Pispers am Ende zwei Zugaben ab. In einer Nummer schickte er die Anwesenden noch einmal in die Schule. Wäre der Unterricht dort so wie dieser Abend, dann gäbe es in Deutschland ganz bestimmt mehr engagierte und kritische Zeitgenossen. Schließlich sagt Pispers wirklich, was er denkt.
 
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