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Text von Mittwoch, 7. März 2007

> k u l t u r<
  
 Armut für alle: Elisabeths frommes Helfersyndrom 
 Marburg * (fjh)
Als "christofilen Suizid" bezeichnete Dr. Dr. Joachim Kahl das Leben der
"Heiligen Elisabeth". Unter dem Titel "Zwischen Helfersyndrom und Heils-
Egoismus" stellte der Marburger Philosoph am Dienstag (6. März) vor knapp 200
Zuhörern in der Aula der Martin-Luther-Schule seine kritischen Überlegungen zur
vielbeschworenen Vorbild-Funktion der Landgräfin Elisabeth von Thüringen vor.
Diese Veranstaltung der Volkshochschule Marburg war der einzige kritische
Programmpunkt im Reigen der Events zum Elisabeth-Jahr 2007.
Er wolle keine Schmähung der "Heiligen" betreiben, beteuerte Kahl zu Beginn. Als
Vorbild könne sie seiner Ansicht nach heute aber nicht mehr dienen.
Verstehen müsse man ihre Handlungen vor dem Hintergrund ihrer Zeit. Bewerten
könne man sie jedoch allein aus heutiger Sicht, meinte der promovierte Theologe
und Philosoph.
Zwei Quellen aus dem Mittelalter dienten ihm als Grundlage seiner Argumentation.
Zum Einen zitierte Kahl aus den Briefen des Beichtvaters und päpstlichen
Inquisitors Konrad von Marburg an den Papst Gregor IX., zum Anderen aus den
Berichten der Mägde Elisabeths über das Wirken ihrer Herrin. Beide Dokumente
dienten seinerzeit als Grundlage der Heilig-Sprechung Elisabeths.
Ihren Lebensweg charakterisierte Kahl als "steile Karriere von ganz oben nach
ganz unten". Den Weg von der Königstochter zur Bettlerin habe Elisabeth sich
vorgenommen, weil sie der biblischen Aussage vertraute: "Wer sich selbst erhöht,
der wird erniedrigt werden. Wer sich aber selbst erniedrigt, der wird erhöht
werden!"
An ihre eigene Armut habe die Anhängerin des Franziskus von Assisi die Erwartung
geknüpft, dafür im Jenseits belohnt zu werden. Das gleiche Motiv habe sie auch
bei der Pflege von Kranken und Aussätzigen geleitet. Kahl sah darin eine
egoistische Ausrichtung auf das eigene Heil und nicht etwa in erster Linie die
Liebe zu hilfsbedürftigen Menschen.
Anhand von Textpassagen aus den beiden Quellen belegte der Referent seine
Position. Immer wieder zitierte er auch Berichte von Geißelungen und
Züchtigungen der "Heiligen".
All diese Schilderungen seien im Mittelalter verfasst worden, um Elisabeths
Heilig-Sprechung zu bewirken. Heute hingegen wirke diese Darstellung abstoßend,
meinte Kahl.
Ihren eigenen Körper habe die ehemalige Landgräfin von Thüringen strikt
vernachlässigt. Damit habe sie sich selbst die Möglichkeit zur nachhaltigen
Hilfe für die Bedürftigen genommen.
Zudem habe sie Armut als "Gnade Gottes" gesehen. Ihr Handeln habe also nicht
gegen Armut gerichtet. Vielmehr habe sie "Armut für alle" eher gebilligt, als
die Hilfe zur Selbsthilfe anzustreben.
Somit könne Elisabeth heute kein Vorbild sein, meinte Kahl. Hilfe für Bedürftige
solle nicht um eines Gottes willen erfolgen, sondern um der Menschen willen,
forderte er.
Kahls Vortrag wird der Marburger Verein "Philosophia" demnächst auf seiner
Homepage www.marburger-forum.de veröffentlichen, kündigte Kahl an.
 
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