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Text von Freitag, 27. Oktober 2006

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 Übervoll: Studiengebühren für Gedränge? 
 Marburg * (chr)
Das neue Semester hat begonnen. Zwei weitere wird es wohl noch geben, die keine Studiengebühren kosten. Aber im Wintersemester 2007/2008 solen Studierende dann 500 Euro bezahlen, wenn es nach dem Willen der Hessischen Landesregierung geht.
Noch aber ist das Studium in Hessen kostenlos. Und so drängeln sich 70 Personen in einem Raum für 30. Wegen Auto- und Eisenbahn-Lärm bleiben die Fenster aber geschlossen. Nach spätestens 45 Minuten herrscht Sauerstoff-Notstand. 20 Thesenpapiere werden an ebendiese 70 Personen verteilt, die in der Überzahl auf dem Boden sitzen oder stehen müssen.
Studieren in Marburg hat so seine Tücken.
Auch ich werde später einmal sagen können: Ich habe studiert. In Wahrheit habe ich in dieser Zeit viel darüber gelacht. Belustigt hat mich das vermeintliche Privileg, zu studieren und das pseudo-intellektuelle Gehabe vieler Studenten. In Seminaren erklären einige von ihnen ihresgleichen hochkomplexe Sachverhalte in Rekord-Zeit. Letztlich bleiben aber nur zusammenhanglose Thesenpapiere als Andenken zurück.
Die Anwesenheit der hochbegabten Professoren beschränkt sich zumeist auf eine kurze Schluss-Bilanz. Ihr herausragendes Wissen bleibt dem Plenum weitestgehend vorenthalten. Wissenschaftliche Mitarbeiter oder halbqualifizierte Seminarleiter, die qualitativ meinen Lehrern aus der Schulzeit nicht annähernd gewachsen sind, nehmen thematisch interessanten Seminaren in kürzester Zeit ihre Faszination.
Viele Studenten legen während der aufflammenden Protestwellen plötzlich ein Engagement an den Tag, nach dem sich ihre Studien-Laufbahn bislang vergeblich gesehnt hat.
Es herrscht viel Verbesserungsbedarf. Nur wenn die unzähligen Schwächen deutscher Universitäten beseitigt werden, wird das Studium auch seinem Namen gerecht. Erst dann wären Studiengebühren vielleicht legitim. Denn dann könnten Studierende gerechtfertigte Ansprüche geltend machen.
Die gegenwärtigen Studien-Bedingungen jedoch sind keinen Cent wert. Warum also für deren Fortbestand kämpfen ?
Zu Recht befürchten Gebühren-Gegner, dass die Gebühren nicht in die Lehre fließen und Roland Koch sich lieber ein neues Weingut oder ein Schloss davon kaufen wird. Politische Versprechen korrelieren nicht unbedingt mit gesellschaftlichem Vertrauen und Zuversicht.
Bildung ist wichtig. Erst recht seit der Pisa-Studie sprechen noch mehr Politiker darüber. Wenn die geplanten Studiengebühren nicht mittelfristig zu einer deutlichen Verbesserung der Lehre führen, verspielt die Politik ihre Glaubwürdigkeit bei der jungen Generation erst Recht.
Die Zeit spielt aber für die Politik. Während der entscheidenden Gesetzes-Lesung haben Studenten viel gemacht: Urlaub, Praktika, Arbeiten. Die drei Monate langen Semesterferien haben aus dem heißen Sommer einen trüben Herbst werden lassen. Von eventuellen Verbesserungen der Lehre werden die jetzigen Demonstranten ohnehin nichts mehr spüren. In den nächsten fünf Jahren wird sich wahrscheinlich wenig tun.
Die Lobby der Studenten wird kleiner. Von Hartz IV und diversen Steuer-Erhöhungen waren sie bislang unwesentlich betroffen. Viele gesellschaftliche Gruppen fordern ihren Beitrag von den Studenten ein, am politischen Sparkurs zu partizipieren. Die Solidarität der alternden Bevölkerung wird weiter abnehmen.
Warum durfte über 50 Jahre umsonst studiert werden und jetzt plötzlich nicht mehr ? Guido Westerwelle und Gerhard Schröder mit ihren Studien-Karrieren jenseits der 15 Semester haben offensichtlich zwischendurch auch mal ein Skat-Semester eingelegt.
Vor jeder Vollversammlung befürchte ich einen Streik. Bereits mein erstes Semester war deutlich gekennzeichnet von der exzessiven Sehnsucht zahlreicher Kommilitonen, das Jahr 1968 wiederaufleben zu lassen. Wer zum falschen Zeitpunkt trotzdem Lehrveranstaltungen besuchte, zog sich Spott und Ärger der "Blockierer" zu.
Soll ich gerade zu diesem Zeitpunkt, wo das Ende des gebührenfreien Studiums absehbar ist, wieder ein Semester verschenken, was künftig 500 Euro kostet ?
Die Vernunft sagt: Studieren wir doch schnell zuende und lassen das Ganze hinter uns! Die letzte Generation hat auch nur für sich selbst gekämpft.
 
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