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Text von Samstag, 14. Oktober 2006

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 Stärker als der Mensch: Hannah Arendts 100. Geburtstag 
 Marburg * (fjh)
"Der Sinn der Politik ist Freiheit", lautet einer ihrer Kernsätze. Sie war die wohl bedeutendste weibliche Philosophin des 20. Jahrhunderts.
Geboren wurde Hannah Arendt am 14. Oktober 1906 in Hannover. Studiert hat die Philosophin von 1924 bis 1926 bei Prof. Dr. Martin Heidegger, Nicolai Hartmann und Rudolf Bultmann in Marburg.
"Es gibt Dinge, die stärker sind als der Mensch", sagte sie zu ihrer Nichte, als sie Heidegger 1971 besuchen fuhr. Arendts Nichte verstand nicht, warum ihre Tante die Beziehung zu dem ehemaligen NSDAP-Mitglied Heidegger aufrecht erhielt, obwohl sie eine vehemente Kämpferin gegen den Faschismus war.
Der verheiratete Philosoph war vor seiner 17 Jahre jüngeren Studentin auf die Knie gefallen. Seinen Kopf hatte er in ihren Schoß gelegt und sie um ihre Hand gebeten. Die 18-jährige hat ihren Professor erhört.
Wegen ihrer geheimen Liaison lebte Hannah Arendt in Marburg sehr zurückgezogen. Das änderte sich jedoch, als sie auf Heideggers Anraten im Jahr 1925 nach Freiburg wechselte, um bei Edmund Husserl zu studieren. Ebenfalls auf Heideggers Vorschlag wechselte sie ein semester später nach Heidelberg zu Prof. Dr. Karl Jaspers. Bei ihm promovierte sie 1928 über den liebesbegriff bei Augustinus. Bis zu Jaspers Tod verband die beiden eine enge Freundschaft.
Ihr Doktorvater versuchte Anfang 1933 in mehreren Briefen, Arendt davon zu überzeugen, dass sie sich als Deutsche betrachten solle. Dies lehnte sie stets mit dem Hinweis auf ihre jüdische Existenz ab. Noch am 1. Januar 1933 schrieb sie: "Für mich ist Deutschland die Muttersprache, die Philosophie und die Dichtung.“
Ansonsten fühlte sie sich zur Distanz verpflichtet. Besonders kritisierte sie den Ausdruck "Deutsches Wesen“.
Zu ihrem EhemannGünter Stern emigrierte sie 1933 über Karlsbad, Genua und Genf nach Paris. 1940 wurde sie als "feindliche Ausländerin" interniert. Gemeinsam mit anderen gelang es ihr jedoch, zu fliehen.
1937 hatte sich Arendt von Stern scheiden lassen. 1940 heiratete sie den ehemaligen Kommunisten Heinrich Blücher.
Mit ihm flüchtete Arendt 1941 weiter nach New York, wo sie am 4. Dezember 1975 schließlich starb.
Eines ihrer wesentlichen Themen war die Frage, wie es zum Faschismus und zum Holocaust hatte kommen können. Philosophische Fragen zu Herrschaft und Politik wie auch eine Totalitarismus-Theorie standen dabei im Mittelpunkt. Als Philosophin betrachtete sie sich selbst dabei aber nicht. Sie verstand sich vielmehr als Publizistin.
Hatte Arendt 1933 ihre Freundschaftmit Heidegger und Benno von Wiese wegen deren Mitgliedschaft in der Nationalsozialistischen deutschen Arbeiter-Partei (NSDAP) abgebrochen, so nahm sie den Kontakt zu Heidegger 1950 wieder auf. Anlässlich seines 80. Geburtstags hielt Arendt im Herbst 1969 einen Vortrag im Bayrischen Rundfunk (BR). Darin führte sie aus: "Wir, die wir die Denker ehren wollen, wenn auch unser Wohnsitz mitten in der Welt liegt, können schwerlich umhin, es auffallend und vielleicht ärgerlich zu finden, dass Plato wie Heidegger, als sie sich auf die menschlichen Angelegenheiten einließen, ihre Zuflucht zu Tyrannen und Führern nahmen.
Diese Vorliebe nannte sie "déformation professionelle". Die Neigung zum Tyrannischen lasse sich theoretisch bei fast allen großen Denkern nachweisen.
Zeitlebens hat Arendt sich mit dem Faschismus auseinandergesetzt. "Ein Bericht von der Banalität des Bösen" betitelte sie ihre Beobachtungen vom Eichmann-Prozess. Tief enttäuscht war sie darüber, dass im Nachkriegs-Deutschland die Nazi-Schergen viel zu leicht davonkamen.
 
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