Text von Donnerstag, 20. July 2006
Votum für Schmidt: Alt-Kanzler wird Ehrendoktor | ||
Marburg * (fjh/pm)
Die Würde eines Doktors Honoris Causa wird der Fachbereich Gesellschaftswissenschaften und Philosophie der Philipps-Universität dem Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt verleihen. Der Termin des Festaktes steht noch nicht fest. In einem Fachbereich, in dem so unterschiedliche Fächer wie Europäische Ethnologie/Kulturwissenschaft, Philosophie, Politikwissenschaft, Soziologie, Religionswissenschaft, Völkerkunde und ein Zentrum für Konfliktforschung unter einem gemeinsamen organisatorischen Dach miteinander verbunden sind, musste ein Vorschlag dieser Qualität naturgemäß zu intensiven, leidenschaftlichen und darum auch kontroversen Diskussionen führen. Insgesamt haben diese Debatten dazu geführt, dass die absolute Mehrheit der Mitglieder des Fachbereichsrats diesem Vorschlag auf seiner Sitzung am Mittwoch (19. Juli) zugestimmt hat. In diesem Gremium sind alle Fächer und alle universitären Status-Gruppen von den Hochschullehrern über Studierende und Wissenschaftliche Mitarbeiter bis hin zum Administrativ-technischen Personal vertreten. Bei aller Kontroverse in der Sache setzte sich die gegenseitige Toleranz und Anerkennung der Differenzen in der Einschätzung der Lebensleistung eines deutschen Spitzenpolitikers durch. Stationen dieses Beschlusses waren die Befürwortung der Eröffnung des Verfahrens durch den Promotions-Ausschuss des Fachbereichs im Dezember 2005, die Einholung auswärtiger Fachgutachten durch die Professoren Karl Dietrich Bracher (Bonn), Jürgen Habermas (Starnberg) und Julian Nida-Rümelin (München), die Zustimmung des Fachbereichsrats im Januar 2006, die Verabschiedung von Empfehlung der Verleihung und Laudatio im Promotionsausschuss im Mai 2006 und endgültig die Sitzung des Fachbereichsrats am 19. Juli 2006. Wie Dekan Prof. Dr. Dirk Kaesler am Donnerstag (20. Juli) mitgeteilt hat, lautet die Laudatio, mit der die Auszeichnung begründet wird: "Der Fachbereich Gesellschaftswissenschaften und Philosophie der Philipps-Universität Marburg verleiht Herrn Helmut Schmidt, Alt-Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, die Würde eines Doktors der Philosophie ehrenhalber. Das der Aufklärung verpflichtete Fach Philosophie erkennt in Helmut Schmidt den Philosophen im Politiker. Sein Handeln zeigt eine sichere Orientierung an den Prinzipien unabhängigen Vernunftgebrauchs, moralischer Selbstverpflichtung, kritisch rationaler Situationsbeurteilung und pragmatischer Ausrichtung an der Reichweite menschlicher Vernunft und politischen Handelns. Sein unermüdliches Plädoyer für Vernunft und Verantwortung im Handeln lassen, wo die akademische Philosophie theoretisch bleibt, Philosophie für die Menschen praktisch werden." Helmut Schmidt wurde am 23. Dezember 1918 in Hamburg geboren. Nach der Rückkehr aus britischer Kriegsgefangenschaft studierte er Volkswirtschaftslehre und Staatswissenschaft in seiner Heimatstadt. Seine politische Laufbahn begann Schmidt mit dem Beitritt in die SPD im März 1946. Sie führte ihn schließlich am 16. Mai 1974 in das Amt des Bundeskanzlers, das er am 1. Oktober 1982 an Helmut Kohl (CDU) übergeben musste. Seit 1983 ist Helmut Schmidt Mitherausgeber der Wochenzeitung "DIE ZEIT". Kritik an der Verleihung der Ehrendoktor-Würde an Schmidt hatte vor allem der Politilooge Prof. Dr. Frank Deppe geäußert. Er kritisierte Schmidts Kritik an Haltungen, wie sie in den späten 60er und frühen 70er Jahren am Marburger Fachbereich weit verbreitet waren. Mit dieser Haltung konnte sich Deppe jedoch in seiner heutigen Kollegen- und Studentenschaft nicht durchsetzen. Auch der Allgemeine Studierenden-Ausschuss (AstA) sieht die Verleihung der Ehrendoktor-Würde an Schmidt kritisch und hält sie für unangemessen. Das erklärte die Studenten-Vertretung am Donnerstag (20. Juli). Bereits während der öffentlichen Sitzung des Fachbereichsrats am Mittwoch (21. Juni) sei deutlich geworden, dass die geplante Ehrendoktor-Würde für Helmut Schmidt innerhalb des Fachbereichs zu erbittertem Streit geführt hat. So hatten Studierende, aber auch Professorinnen und Professoren und wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Zweifel, ob die "eigenständige geistig-schöpferische Leistung" Schmidts ausreiche, die Ehrendoktor-Würde aus dem Fach Philosophie zu rechtfertigen. Darüber hinaus wurde deutlich, dass es nicht nur um die Verleihung der Ehrendoktor-Würde an Schmidt ging, sondern auch um einen wissenschaftlichen Streit zwischen Stelleninhabern. Zur Beurteilung der "hervorragenden und eigenständigen geistig-schöpferischen Leistung" als Grundlage für die Verleihung eines Ehrendoktors (so die Promotionsordnung) liegen neben den positiven gutachterlichen Stellungnahmen aus dem Verfahren auch negative Stellungnahmen unter anderem des zweiten Vorsitzenden der deutschen Kant-Gesellschaft, Prof. Dr. Manfred Baum, und des Marburger Philosophie-Professors Burkhard Tuschling vor. Der AStA betont, dass die studentischen Mitglieder des Fachbereichsrats für den Tagesordnungspunkt der Ehrenpromotion nicht stimmberechtigt waren. Die Verleihung der Ehrendoktor-Würde fand gegen das ausdrückliche Votum der Studierenden statt. Damit wurde das Konsens-Prinzip bei der Verleihung von Ehrentiteln durchbrochen. Der AStA bedauert, dass der Fachbereichsrat sich über die Minderheits-Voten mehrheitlich hinweg gesetzt hat. Damit wurde das Prinzip des Konsensus, das bei der Verleihung von Ehrendoktor-Würden durch den Fachbereich gelten sollte, außer Kraft gesetzt. Der AStA hält es für angemessen, dass diese Mehrheitsentscheidung nun öffentlich weiter debattiert und kritisiert wird. | ||
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