Text von Donnerstag, 23. Februar 2006
Primaten und Parkinson: Reparatur von Gehirnzellen | ||
Marburg * (atn/pm)
Neue Gehirnzellen sollen gegen Parkinson helfen. Zu dieser Hoffnung haben Versuche an Primaten beigetragen, die die entscheidende Bedeutung des Botenstoffs Dopamin für das Wachstum neuer Gehirnzellen belegen. Ein völlig neues Prinzip der Selbstreparatur des Gehirns wurde so entdeckt. Das hat die Philipps-Universität am Donnerstag (23. Februar) mitgeteilt. "Gehirnzellen können absterben, aber nicht nachwachsen" lautete lange Zeit das Credo der Hirnforscher. Eine "Reparatur des Gehirns" im Falle neurodegenerativer Krankheiten wie Morbus Parkinson sei also unmöglich. Vor einigen Jahren aber zeigte sich, dass auch im Gehirn von Menschen bis ins hohe Alter Stammzellen in der Lage sind, neue Neuronen hervorzubringen. Mit dieser Entdeckung verbindet sich die kühne Hoffnung, ein "Gegenmittel" für den zum Beispiel mit der Parkinson-Krankheit oder einem Schlaganfall verbundenen Zelltod im Gehirn zu entwickeln. Bereits Mitte des Jahres 2004 hatte der Neurologe Dr. Günter Höglinger von der Philipps-Universität gemeinsam mit einer Pariser Forschergruppe im Fachjournal Nature Neuroscience eine Arbeit vorgestellt, in der nachgewiesen wurde, dass der Botenstoff Dopamin neurale Stammzellen von Nagetieren so stimulieren kann, dass neue, funktionierende Gehirnzellen entstehen. Diese Arbeit ist im Internet unter web.uni-marburg.de/zv/news/presse/2004-06-14.html zu finden. Um Höglinger ist im Biomedizinischen Forschungszentrum der Philipps-Universität mittlerweile eine dynamische Nachwuchsgruppe entstanden, die einen wesentlichen Schwerpunkt ihrer Arbeit zur Parkinson-Krankheit auf die Bedeutung körpereigener Stammzellen für Reparaturprozesse im Gehirn legt. In den renommierten Fachjournalen Journal of Neuroscience und Brain haben Mitglieder der Forschergruppen in Marburg und Paris nun zwei weitere Publikationen veröffentlicht. Sie bestätigen zum einen ihre Ergebnisse im Versuch an Primaten und decken zum anderen einen bislang unbekannten Selbsthilfemechanismus des Gehirns auf. Im Journal of Neuroscience berichten der Medizinstudent Nils Freundlieb und Höglinger gemeinsam mit Kollegen vom Pariser Institut de la Sant' et de la Recherche M'dicale (INSERM) erstmals darüber, dass der Prozess der Neurogenese auch bei Primaten durch den Botenstoff Dopamin beeinflusst wird. "Bislang war nur von Nagetieren bekannt", erklärt Freundlieb, "dass Regulationsfaktoren wie Dopamin eng mit der Neubildung von Gehirnzellen zusammenhängen. Wir konnten dieses Ergebnis nun an Primaten bestätigen und damit erstmals einen molekularen Beeinflussungsmechanismus der Neurogenese beim Primaten nachweisen. Näher an den Menschen kann man mit Tierversuchen nicht kommen." Die Forscher hatten ihren Versuchstieren das Parkinsongift MPTP verabreicht. Es verhindert, dass das Gehirn - wie auch bei der Parkinson-Krankheit - mit ausreichenden Mengen an Dopamin versorgt wird. Auch die Subventrikuläre Zone (SVZ), die bei vielen Tieren das größte Reservoir an neuralen Stammzellen darstellt, leidet dabei unter Dopaminmangel. "Wir haben nachgewiesen", so Freundlieb, "dass das verringerte Dopaminniveau in der SVZ dazu führt, dass die neuralen Stammzellen nur noch in stark verringertem Maße neue Gehirnzellen bilden. Dopamin spielt also auch bei Primaten eine entscheidende Rolle für die Neurogenese im Gehirn." Die Forscher hoffen nun, dass sich aus ihren Erkenntnissen langfristig Therapien entwickeln lassen, die das Gehirn von Parkinson-Kranken so stimulieren, dass zerstörte Nervenzellen durch neue ersetzt werden können. Fast zeitgleich erschien im Fachjournal Brain eine Arbeit, an der Höglinger und Freundlieb ebenfalls maßgeblich beteiligt waren. Gemeinsam mit Forschern des INSERM konnten die Marburger Neurologen erstmals nachweisen, dass das Gehirn von Primaten über einen bislang unbekannten Selbsthilfemechanismus verfügt, der dem Absterben von Gehirnzellen im Verlauf der Parkinson-Krankheit entgegenwirkt. "Wir haben festgestellt", erklärt Freundlieb, "dass bestimmte Nervenzellen im Gehirn, die sonst den Botenstoff GABA produzieren, im Verlauf der Krankheit plötzlich beginnen, Dopamin zu produzieren." Angesichts des Dopaminmangels, der typischerweise bei der Parkinson-Krankheit auftritt, greife das Gehirn also zur Selbsthilfe. Somit wurde ein völlig neues Prinzip der Selbstreparatur des Gehirns nachgewiesen, eine so genannte 'phänotypische Transdifferenzierung' von reifen Nervenzellen. Weil aber nur sehr wenige dieser 'GABAergen Mikroneurone' spontan auf die Dopaminproduktion umstellen, suchen die Forscher nun nach einem Mechanismus, der diesen Prozess gezielt verstärken könnte. Mit ihrer Arbeit widerlegten die Wissenschaftler andere Publikationen, in denen spekuliert wurde, diese Dopamin produzierenden Nervenzellen würden im Verlauf der Krankheit aus Stammzellen neu entstehen. "Tatsächlich aber", so Höglinger, "existieren sie bereits zuvor, erweitern aber ihren Aufgabenbereich. Das ist, als würden Fabriken zur Herstellung von Ziegeln angesichts einer Hungersnot plötzlich auch Kuchen backen, um den Mangel auszugleichen." Unterdessen widmet sich die junge Forschergruppe zahlreichen weiteren Fragen. "Wir wollen natürlich noch genauer wissen, was die Kontrolle der Neubildung von Nervenzellen im erwachsenen Gehirn durch Dopamin funktionell bedeutet", kündigte Höglinger an. "Es könnte durchaus sein, dass sich bestimmte Symptome der Parkinson-Krankheit wie Depressionen, Riechstörung und nachlassende Gedächtnisleistung tatsächlich auf die verringerte Neubildung von Gehirnzellen zurückführen lassen. Die von uns nachgewiesenen Mechanismen könnten aber auch wichtige Rollen bei anderen Erkrankungen wie Schizophrenie oder Sucht spielen." Viele dieser Zusammenhänge seien zwar höchstwahrscheinlich, bislang konnte sie aber niemand beweisen. | ||
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