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Text von Donnerstag, 21. Dezember 2006

> s o z i a l e s<
  
 Unchristliche Arbeit: Betriebsräte sorgen sich 
 Marburg * (ule)
Weihnachten steht unmittelbar vor der Tür. Aus den Fenstern funkeln bunte Lichterketten in die milden Dezembernächte hinein. Auf dem Weihnachtsmarkt duftet es nach gebrannten Mandeln und Glühwein. Die Menschen hetzen geschäftig durch die Straßen, um noch die letzten Geschenke zu kaufen. In diesen Tagen passiert es nicht selten, dass man angerempelt und weggedrängelt wird.
Während die vorweihnachtliche Stimmung für viele zu einem puren Stress-Faktor wird, zeigt sich der Einzelhandel mit den Umsätzen höchst zufrieden. Die Beschäftigten allerdings müssen noch einmal ordentlich ranklotzen. Seit Mittwoch (21. Dezember) sind die Türen des Kaufhauses Ahrens bis 20 Uhr geöffnet. Dadurch verlängert sich die Arbeitszeit der Beschäftigten um eine Stunde pro Tag.
Nur eine Stunde, könnte man beschwichtigend sagen. Doch für viele heißt das, zwölf bis 13 Stunden im Kassen-Bereich zu stehen. Noch dazu fällt gerade in dieser Zeit ein Vielfaches an Arbeit an.
"Das Weihnachtsgeschäft ist hochfrequentiert. Oft kommt man nicht mal zum Durchatmen", beschreibt Markus Giesen den vorweihnachtlichen Arbeitsalltag. Der freundliche Verkäufer ist gerne Verkäufer. Man merkt ihm den Spaß an der Arbeit an. Trotzdem zeigt er sich verärgert über die Liberalisierung der Öffnungszeiten.
Das Ladenschlussgesetz wurde 1956 zum Schutz der Beschäftigten im Einzelhandel erlassen. Es bewahrte sie vor zu langen Arbeitszeiten. "Wenn die Geschäfte rund um die Uhr geöffnet sind, wir das die betroffenen Familien auseinanderreißen", befürchtet Giesen. "Ich werde meine Tochter jetzt nicht mal mehr am Sonntag sehen können".
Der 38jährige ist stellvertretender Betriebsratsvorsitzender des Marburger Kaufhauses. Er kritisiert das am Donnerstag (23. November) von der hessischen Landesregierung verabschiedete Liberalisierungsgesetz. Es sieht von Montag bis Samstag eine Öffnungszeit rund um die Uhr vor. Zusätzlich wurden vier Sonntage im Jahr freigegeben. Seit Freitag (1. Dezember) ist das Gesetz in Kraft.
Doch der Einzelhandel ist nicht der einzige Bereich, in dem sich die Situation für die Beschäftigten verschlechtert hat. Seit der Privatisierung des Universitätsklinikums Gießen und Marburg brennt es auch dort an allen Ecken und Enden.
Tobias Paul beschreibt die Stimmung unter den Beschäftigten angesichts zahlreicher Umstrukturierungsmaßnahmen als frustrierend: "Die Beschäftigten fürchten um ihre Arbeitsstelle. Die Menschen hier haben weniger Sicherheit, bei gleichzeitig steigendem Arbeitsdruck".
Der 26jährige Krankenpfleger ist seit einem halben Jahr Betriebsratsmitglied. "Stationen müssen Mitarbeiter abgeben, die wenigsten bekommen welche dazu, befristete Verträge werden nicht verlängert", fasst Paul die Situation zusammen.
Sehr genau werde in Gießen und Marburg der Streik in Lich verfolgt, verrät der Mitzwanziger. Wochenlang hatten die Beschäftigten der dortigen Asklepios-Klinik für die Angleichung der Löhne an die Gehälter der Beschäftigten im öffentlichen Dienst gestreikt. Der Arbeitgeber reagierte mit äußerster Repression. Streikende wurden fotografiert und mit Kündigungsdrohungen unter Druck gesetzt. Schwesternschülerinnen wurden als Streikbrecherinnen auf die Stationen geschickt.
"Asklepios zwingt seine Beschäftigten zum Kampf. Wenn es auf gut deutsch heißt, friss oder stirb, zählt nur der Kampf", bekräftigt der junge Krankenpfleger.
Zu Beginn der Adventszeit waren Markus Giesen und Tobias Paul zusammen auf einer Betriebsrätekonferenz. Die Bundestagsfraktion der Linken hatte am Mittwoch (29. November) gut 200 Betriebsräte aus der ganzen Republik zu einer Konferenz nach Berlin eingeladen. Bei dem Dialog zwischen der Fraktion und den Betriebsräten ging es vor allem um die Situation in den Betrieben.
Auf dieser Konferenz war auch Norman Kalteyer. Der 41jährige arbeitet beim Rettungsdienst des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in Groß Gerau. Auch er ist im Betriebsrat aktiv. Auch in seinem Betrieb haben sich die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten verschlechtert.
Wegen wirtschaftlicher Probleme hat der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat einen Notlagen-Tarifvertrag ausgehandelt. Darin wurden die tariflichen Leistungen befristet gekürzt. Das Urlaubsgeld wurde ganz gestrichen, das Weihnachtsgeld auf Zwei-Drittel reduziert.
Der Rettungssanitäter wollte auf der Konferenz anregen, das Arbeitszeitgesetz zu ändern. Im Moment fungiert der Paragraph 7 als Schlupfloch, mit dem eine Ausdehnung der Arbeitszeit auch über 48 Stunden hinaus möglich ist. Dieses Schlupfloch müsse geschlossen werden, fordert Kalteyer.
Angesichts der erschreckenden Berichte aus anderen Branchen, stellte er seinen geplanten Redebeitrag bei der Konferenz allerdings zurück. Viele Kollegen aus dem Bewachungsgewerbe oder von Zeitarbeits-Firmen berichteten von Löhnen, die weit unter acht Euro liegen.
Ein junger Betriebsrat von der Berliner PIN AG - einem privaten Briefdienst - schilderte sogar, wie er monatelang gemobbt und unter Druck gesetzt wurde, als er sich für die Belange seiner Kollegen einsetzte.
"Angesichts dieser Probleme kam mir mein Anliegen plötzlich nebensächlich vor", erklärt Kalteyer. Nachdenklich formuliert er einen ungewöhnlichen - aber wohl notwendigen - Weihnachts-Wunsch: "Die Durchsetzung von Mindestlöhnen ist dringender!". Diesen Wunsch möchten auch Markus Giesen und Tobias Paul erfüllt haben.
 
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