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Text von Dienstag, 24. Oktober 2006

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 Fremde gemobbt: Erfahrungen in einem netten Dorf 
 Marburg * (fjh)
Hinaus aus der Stadt in ein idyllisches Dorf wollten sie. Naturnahes Leben auf einem alten Bauernhof war ihr größter Wunsch. Unter Mithilfe des Ortsvorstehers kauften sie einen historischen Bauernhof. Das verfallene Gebäude richteten sie liebevoll wieder her. Dafür erhielten Alina und Arnold sogar einen Preis. Doch die Dorfbevölkerung dankte ihnen ihr Engagement mit Ausgrenzung, Schmähungen und der Beschädigung ihres Eigentums.
Das hatte sich Alina ganz anders vorgestellt. Zusammen mit ihrem Lebensgefährten war sie in ein kleines Dorf etwa 15 Kilometer von Marburg entfernt gezogen. Dort machten sich die beiden daran, das jahrelang verwahrloste Anwesen denkmalgerecht wiederherzurichten. Viel Geld steckten die beiden in dieses Projekt.
Nach etwa sechs Jahren war die Restaurierung vollendet. Die schwere hölzerne Haustür zum Beispiel entspricht seitdem wieder genau ihrer historischen Form. Alina hatte Blumen angepflanzt und alles schön zurechtgemacht.
In einer alten Scheune hatten die beiden eine Ferienwohnung ausgebaut. Diese Idee propagierte Alina auch gegenüber den Dorfbewohnern, weil sie darin eine Möglichkeit sah, etwas unabhängiger von der Landwirtschaft zu werden. "Sanften Tourismus" hielt sie für zukunftsweisend.
Alina und Arnold glaubten sich am Ziel ihrer Wünsche. Das ökologische Leben auf dem Bauernhof hatte zwar all ihre Ersparnisse und viel Kraft verschlungen, aber Haus und Hof erstrahlten nun in neuem Glanz.
Ohne ihr Wissen hatte der Ortsvorsteher den Hof für den Hessischen Denkmalschutzpreis vorgeschlagen. Zu aller Überraschung erhielt das Projekt diesen Preis schließlich auch.
Voller Freude darüber organisierte Alina eine große Party auf ihrem Hof. Die gesamte Dorfbevölkerung lud sie ein. Auch ihre Freunde und Bekannten aus Marburg bekamen Einladungen. Doch während die Marburger fast alle kamen, ließen sich aus dem Dorf nur wenige blicken.
Dabei hatte sich Alina bei Festen im Dorf nie zurückgehalten. Sie half mit bei Theken- und Vorbereitungsdiensten. Und sie pflegte ein gutes Verhältnis zu ihren Nachbarn.
Der Sohn der Nachbarin ließ jedoch seinen Trecker oft stundenlang mit laufendem Motor vor dem Haus stehen. Als Alina ihn bat, den Motor auszuschalten, reagierte er verärgert. Fortan nahm der Lärm auf dem Nachbar-Hof zu. Unnötig laufende Motoren des Traktors und anderer landwirtschaftlicher Geräte störten die ländliche Ruhe. Unentwegt bellte auf dem Nachbar-Grundstück auch der Kettenhund "Mobby".
Die Gäste in der Ferienwohnung beschwerten sich mehrfach darüber, dass nicht einmal zu den gesetzlich geschützten Ruhezeiten halbwegs Ruhe herrschte.
Krach im wahrsten Sinne des Wortes gab es schließlich, als ein Mann auf einem anderen Nachbargrundstück bis weit nach Mitternacht eine Party im Garten feierte. Laut dröhnte die Musik weithin durch das Dorf, genauso wie das Gegröle der betrunkenen Party-Gäste.
Arnold rief daraufhin die Polizei, da er sich nicht traute, die aggressiven Betrunkenen um Ruhe zu bitten. Die Beamten verboten den Leuten, ihre lärmende Party fortzusetzen.
Auch sonntägliches Rasenschneiden mit einem Motor-Mäher auf einem Nachbargrundstück konnten Alina und Arnold erst durch Einschaltung der Polizei abstellen. Ihren höflichen Bitten um mehr Ruhe waren die Dorfbewohner nicht zugänglich.
Das Klima im Dorf wurde immer unfreundlicher. Nachts drangen Unbekannte auf das Grundstück der beiden Zugezogenen vor und hinterließen dort Bierflaschen und Scherben. Die Veranda-Tür wurde mit einem Holz-Pflock gerammt, die Gartenstühle in den Teich geworfen, Rosen abgebrochen, Müll auf den Hof geworfen, Zaunlatten abgebrochen.
Eines Nachts drohte Alina zwei jugendlichen Eindringlingen mit der Bratpfanne. Als sie sie laut anschrie, suchten die beiden das Weite.
Gerne wurde auch gesungen. Das geschah besonders nachts in der Gasse. Ein eigens gedichtetes Schmäh-Lied wurde von verschiedenen - zumeist betrunkenen - Herren vorgetragen.
Alina hatte den stellvertretenden Ortsvorsteher, einen Polizisten, um Unterstützung gegen die Übergriffe gebeten. Es geschah aber nichts.
Am Abend der Dorfkirmes dann glaubte Alina, ihren Ohren nicht zu trauen. Vor ihrem Haus hatten sich zwölf bis fünfzehn Personen - mittlerweile auch Frauen - versammelt und sangen das Lied auf sie. Später zog die Truppe zur Kirmes zurück, wo sie ihr Lied noch einmal auf der Bühne anstimmte. Der Veranstalter drehte den Sängern aber den Strom ab. Sie hatten vor ihrem unflätigen Auftritt tüchtig getankt.
Die Vorfälle rund um die Kirmes hatte ein ortsansässiger Journalist mitbekommen. Er recherchierte daraufhin nach, was sich am Rande der Kirmes ereignet hatte. Diese Recherchen schreckten den stellvertretenden Ortsvorsteher und die Vorsitzenden der Vereine auf. Besorgt rief der stellvertretende Ortsvorsteher Alina an und bat sie, der Zeitung nichts zu sagen.
Als Alinas Beschwerden über die Übergriffe beim stellvertretenden Ortsvorsteher keine Wirkung zeitigten, hatte sie sich an den Pfarrer gewandt. Der evangelische Geistliche rief nun alle Vereinsvorstände, den Ortsbeirat und noch ein paar Männer, die im Dorf etwas zu sagen haben, zu einem runden Tisch zusammen. Alina wurde zu diesem Treffen nicht eingeladen.
Sie blieb der Versammlung gerne fern. Ihrer Ansicht nach sollten die Dorfbewohner die Sache unter sich regeln.
Nachdem der Pfarrer seinen Schäflein ins Gewissen geredet hatte, herrschte endlich Ruhe. Fortan blieben Alina und Arnold von Angriffen oder Schmähungen verschont. Doch herrschte nun eine frostige Atmosphäre, wenn die beiden beispielsweise das Dorf-Gasthaus zum Abendessen aufsuchten.
Letztlich haben die beiden ihren Hof verkauft. Alina ist nach Marburg zurückgezogen, während Arnold jetzt im Ausland lebt. Er stammt auch von ausländischen Eltern ab.
"Das alles erinnert mich an die Nazis", hatte er dem stellvertretenden Ortsvorsteher in einem Telefonat später einmal gesagt. Diese Äußerung hat den Kommunalpolitiker tief getroffen. "Wir sind keine Nazis"
 
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