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Text von Freitag, 23. Juni 2006

> s o z i a l e s<
  
 Mut machen: Hengsbach zur "Postdemokratie" 
 Marburg * (atn/pm)
"Friedhelm Hengsbach SJ ist eine glaubwürdige Verkörperung der vier klassischen Kardinaltugenden Gerechtigkeit, Tapferkeit, Mäßigung, Weisheit", erklärte Jury-Sprecher Jürgen Neitzel. Gemeinsam mit Oberbürgermeister Egon Vaupel überreichte er dem katholischen Sozialethiker am Freitag (23. Juni) im Historischen Saal des Rathauses das "Marburger Leuchtfeuer für Soziale Bürgerrechte".
Bereits zum zweiten Mal haben die Humanistische Union (HU) und der Magistrat der Universitätsstadt Marburg diese undotierte Auszeichnung vergeben. Erste Preisträgerin war im Jahr 2005 die Frankfurter Hörfunk-Journalistin Ulrike Holler. Wie sie, so habe sich auch Hengsbach in herausragender Weise für die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen am gesellschaftlichen Leben eingesetzt, erklärte die Jury in ihrer Preisbegründung.
Das "Leuchtfeuer" solle solche Beispiele würdigen und den Preisträgern für ihr Engagement danken, erklärte der Marburger HU-Ortsvorsitzende Franz-Josef Hanke. "Andere sollen dadurch ermutigt werden, ihnen nachzueifern. Und den - mittlerweile leider - Millionen von Menschen, die am Rande des Existenzminimums und der Gesellschaft leben, soll das Leuchtfeuer Mut machen: Ihr seid nicht allein, Ihr habt Verbündete!"
Er freue sich, dass auch die Stadt Marburg sich auf die Seite der Sozialen Bürgerrechte geschlagen habe, erklärte Hanke. Oberbürgermeister Egon Vaupel erklärte, die Unterstützung dieses Preises sei für die Stadt eine Selbstverständlichkeit ggewesen. Stadträtin Dr. Kerstin Weinbach verwies auf die soziale Tradition Marburgs, die sich auch im Elisabeth-Jahr 2007 niederschlage. Die sogenannten "freiwilligen Leistungen" für den Sozialbereich und die Kultur in der Stadt betrachte sie als wichtigen Beitrag, an dem die Stadt nicht sparen wolle.
Hanke, Vaupel und Weinbach erinnerten an Hengsbachs Auftritt beim "Marburger Ökumene-Gespräch" Ende Januar 2006. Neitzel charakterisierte den Jesuiten-Pater als bescheidenen Mann, der aber entschieden in der Sache auftrete.
Immer habe er die Menschen in den Mittelpunkt seiner Überlegungen gestellt. Konsequent verweigere er sich dem Mainstream, der "Eigenverantwortung" fordere und dabei die notwendige Solidarität immer weiter aushöhle. Er kritisiere den arroganten Umgang der Besitzenden mit den Besitzlosen: "Diejenigen, die keinen sozialen Schutz brauchen, führen seit Jahrzehnten einen Feldzug gegen die sozialen Sicherungssysteme."
Für Hengsbach sei die Solidarität mit den Mitmenschen immer der zentrale Gesichtspunkt aller Überlegungen. Wichtig sind ihm der Schutz der Umwelt, die Geschlechtergerechtigkeit und die globale Solidarität mit den Menschen in der sogenannten "Dritten Welt".
Aus christlicher Überzeugung heraus habe er sich kontinuierlich für eine gerechtere Gesellschaft eingesetzt. Sein besonderes Augenmerk gelte dabei den Beziehungen der Menschen in Arbeitsprozessen, der Wirtschafts- und Sozialpolitik.
Bundesverfassungsrichterin Dr. Christine Hohmann-Dennhardt erinnerte sich an ihr erstes persönliches Zusammentreffen mit Hengsbach. Damals war sie noch hessische Wissenschaftsministerin. Ihren Gesprächspartner habe sie als unprätentiös, aufmerksam und immer an der Sache orientiert erlebt. Die Juristin hob seine Wort-Schöpfung des sogenannten "Agenda-Menschen" hervor, der keine Beziehungen mehr eingehe, um immer flexibel und leistungsbereit am Arbeitsplatz anzutreten. Dieser Typ ist eine deutliche Darstellung der Entsolidarisierung, die die Wirtschaft den Menschen abverlangen wolle.
Das Sozialstaatsprinzip erklärte die Verfassungsrichterin zu einem unverzichtbaren Wesenselement des demokratischen Staates. Nur in einem solidarischen und sozialen Staat seien Demokratie und Menschenwürde zu verwirklichen.Nach der Übergabe eines Bildes der Marburger Malerin Maria Pohland durch Vaupel und Neitzel bedankte sich der Preisträger für die Ehrung. Sorgen - so erklärte er - bereiteten ihm Tendenzen, die der Wirtschaft eine immer stärkere Rolle im Staaat einräumten: "Die Wirtschaft ist die fünfte Gewalt im Staate."
Die sogenannte "Postdemokratie" erhalte zwar alle formalen demokratischen Strukturen, versuche aber, in kleinen Zzirkeln ausgehandelte Entscheidungen dem Volk aufzudrücken. Dabei setze die Politik sich unnötigerweise selbst unter Zeitdruck. Regierungen verhielten sich wie Geschäftsleute, die ein bestimtes Gebiet vermarkteten. Die Menschen gerieten dabei immer mehr ins Hintertreffen.Doch sieht Hengsbach Anzeichen für ein Umdenken. Dem solidarischen Handeln der Bevölkerung räumt er durchaus eine Erfolgs-Chance ein. Das quittierten die Festgäste mit einem langanhaltenden Applaus.
 
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