Text von Donnerstag, 1. Juni 2006
Verschärfung: HU zum Fortschreibungsgesetz | ||
Marburg * (atn/pm)
Als Einschüchterungsversuch und unverhältnismäßigen Eingriff in die Rechte von Millionen erwerbsloser und hilfebedürftiger Menschen kritisiert die Humanistische Union (HU) die geplanten Änderungen im sogenannten "Fortentwicklungsgesetz für Hartz IV". Am Donnerstag (1. Juni) wurden sie in zweiter und dritter Lesung im Deutschen Bundestag beraten. Die in einer Nacht- und Nebelaktion von den Koalitionsfraktionen zwei Tage vor der Abstimmung in den Entwurf eingefügten weiteren Verschärfungen wies die HU als sozialpolitisch und sozialstaatlich nicht vertretbar zurück. Bei dreimaligen Pflichtverletzungen innerhalb eines Jahres sollen die Leistungen künftig komplett inklusive der Unterkunftskosten gestrichen werden. Betroffen wären davon auch Kinder und Partner in der Bedarfsgemeinschaft, die für die Pflichtverletzung nicht verantwortlich sind. Sie müssten die gesamten Wohnkosten aus ihren Leistungen tragen, um den Verlust der Wohnung zu vermeiden. Nach dem neuen Gesetz sollen Betroffene nicht mehr über die Rechtsfolgen einer wiederholten Pflichtverletzung belehrt werden. Der Gesetzgeber beschneidet hier die Rechtsstaatlichkeit, um einfacher gegen "unwillige" Erwerbslose vorgehen zu können. Im Einzelnen kritisiert die HU die geplante Beweislast-Umkehr für das Nicht-Vorliegen einer eheähnlichen und "lebenspartnerschaftsähnlichen" Lebensgemeinschaft. Wegen der Schwierigkeiten in der Verwaltungspraxis, eine solche Gemeinschaft nachzuweisen, sollen nun die Antragsteller detailliert über ihre intimen Verhältnisse Auskunft geben müssen. Aus Gründen des Datenschutzes - auch der davon betroffenen Dritten - lehnt die HU dies ab. Eine eidesstattliche Erklärung des Antragstellers müsse hier genügen. Den Gesetzgeber fordert die HU auf, sich bei den Kriterien für das Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft strikt an die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts und des Bundessozialgerichts zu halten. Danach lässt ein Zusammenleben von einem Jahr nicht pauschal die Vermutung zu, es handele sich um eine eheähnliche Lebensgemeinschaft. Für problematisch hält die HU auch die flächendeckende Einrichtung von Außendiensten und die Möglichkeit, private Stellen, zum Beispiel Call-Center, mit einer Überprüfung der Leistungsbezieher zu beauftragen. Erwecken Außendienstmitarbeiter den Eindruck, ihnen müsse Zutritt zur Wohnung gewährt werden, handelt es sich um einen unzulässigen Grundrechtseingriff. Es muss klar gestellt werden, dass Wohnungen nur mit Zustimmung der Betroffenen betreten werden dürfen. Telefonische Auskünfte können nur auf freiwilliger Basis eingeholt werden. Die geplante Erweiterung automatisierter Datenabgleiche und neue Auskunftsmöglichkeiten etwa beim Kraftfahrt-Bundesamt oder dem Melderegister zur Verhinderung und Aufdeckung von Leistungsmissbrauch sind aus Sicht der HU als flächendeckende Vorgehensweise unverhältnismäßig und verletzen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Gerechtfertig sind solche Maßnahmen nur bei konkretem Verdacht auf Missbrauch. HU-Bundesvorstandsmitglied Franz-Josef Hanke erklärte dazu am Donnerstag (1. Juni) in Marburg: "Aus dem Gesetzentwurf spricht beispielloses Misstrauen gegen die Antragsteller und Bezieher von Arbeitslosengeld II. Mit den beträchtlich ausgeweiteten Kontrollbefugnissen und Sanktionsmöglichkeiten unterstellt ihnen der Gesetzgeber pauschal Leistungsmissbrauch." Erklärtes Ziel der Großen Koalition in Berlin ist, durch das Gesetz 1,48 Milliarden Euro einzusparen. Einbringen sollen dieses Geld die Empfänger von Arbeitslosengeld II (ALG II). Aber nicht Leistungsmissbrauch im großen Stil sei nach Hankes Ansicht für die Ausgabensteigerung beim ALG II verantwortlich, sondern die weiterhin schwierige Situation am Arbeitsmarkt, immer weniger Existenz sichernde Vollzeitstellen und das Sichtbar-Werden bislang verdeckter Armut. Dafür bestrafe der Gesetzgeber die Erwerbslosen, anstatt etwas gegen die Ursachen der Misere zu tun." | ||
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