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Text von Mittwoch, 29. November 2006

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 Frech und frisch: Hallenberger zur Pressearbeit 
 Marburg * (fjh)
"Frechheit siegt." Auf diese knappe Formel brachte PD Dr. Gerd Hallenberger am Dienstag (28. November) die Anforderungen an eine wirkungsvolle Pressearbeit kleiner Vereine. Hinzu komme die Notwendigkeit, als Experte für ein bestimmtes Sachgebiet anerkannt zu werden.
Die Medien und ihre Berichterstattung standen am Dienstagabend im Mitelpunkt des Marburger Humanisten-reffs. Dazu hatte der HU-Ortsverband Marburg den Soziologen und Medienwissenschaftler ins Café Nesch an der Ketzerbach eingeladen.
Ausgangspunkt der offenen Diskussion war die Frage, warum die meisten Medien sehr einseitig über Arbeitslosigkeit und die Nöte der Menschen berichten. Häufig ergreifen sie nach Einschätzung der meisten Anwesenden Partei für neoliberale Propagandisten und ihre Ideologie.
Einen Grund dafür machte Hallenberger in der Arbeit von Organisationen wie der "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" aus. Sie investiere Millionenbeträge, um sich damit die öffentliche Meinung regelrecht einzukaufen. Geschickt plaziere sie zudem ihre Gewährsleute als angeblich unabhängige Experten.
Neben ihr arbeiteten auch die Bertelsmann-Stiftung und das Centrum für Hochschul-Entwicklung (CHE) zielstrebig am neoliberalen Umbau der deutschen Gesellschaft. Dem hätten die Erwerbslosen und Bürgerrechtler - zumindestens finanziell - kaum etwas entgegenzusetzen.
Einen weiteren Grund für die Schieflage der Berichterstattung sieht der Marburger Medienwissenschaftler auch in der Medien-Konzentration. Den alten Ausspruch von Paul Sete, dass "Pressefreiheit die Freiheit einiger hundert begüterter Leute" sei, müsse man heutzutage noch auf viel weniger Zeitungs-Eigentümer einschränken. Diesen Verlegern liege die neoliberale Politik und das dahinterstehende Denken sicherlich näher als soziales Engagement zugunsten Erwerbsloser und anderer sogenannter "Randgruppen".
Hinzu komme die ungesicherte berufliche Situation der meisten Journalisten. Zwei Drittel von ihnen arbeiten mitlerweile freiberuflich. Kritische Texte bedeuteten für sie die Gefährdung ihrer materiellen Existenz. So sparten viele unangenehme Themen häufig von vornherein aus.
Gut situierte Journalistinnen und Journalisten hingegen befänden sich häufig in einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis zu Politikern: Nur von ihnen erführen sie Hintergründe zu aktuellen politischen Vorgängen. Exklusivität und Schnelligkeit sei für sie lebenswichtig. Oft trieben Journalisten "die Sau des Kollegen durchs Dorf", meinte Hallenberger, um dadurch am Puls der Zeit zu sein. Um ihre Informanten in der Politik nicht zu verprellen, begrenzten sie ihre Kritik dann auf ein Mindestmaß.
Die Vorherrschaft der Agenturen komme schließlich auch noch dazu. Vor allem die Deutsche Presseagentur (DPA) bestimme immer noch maßgeblich, was am nächsten Tag in der Zeitung steht oder am Abend in den Nachrichten verkündet wird. So setze sie Themen auf die Tagesordnung oder erkläre sie für "erledigt".
All dem könnten kleine Vereine oder Erwerbslosen-Initiativen nur mit Pfiffigkeit und Originalität begegnen. Schnelligkeit und Aktualität seien dabei wesentliche Voraussetzungen für eine erfolgreiche Pressearbeit. Sie allein genüge aber noch nicht: Einerseits sollten sie ihre Anliegen möglichst frech und frisch formulieren. Andererseits müssten sie sich als Experte für ein bestimmtes Sachgebiet profilieren, riet Hallenberger dem Marburger Hu-Pressesprecher Dragan Pavlovic.
Auf dessen Frage nach dem künftigen Einfluss des Internet auf die öffentliche Debatte empfahl Hallenberger eine möglichst umfassende Vernetzung der emanzipatorischen Bewegung im Web. Dadurch erhöhte sich für jeden die Chance, andere User auf seine Themen aufmerksam zu machen.
Zudem solle man seine Anliegen im Internet noch knapper und zugespitzter darstellen als in einer Presseerklärung. Wichtig sei außerdem, dass auf der Webseite mindestens jeden zweiten oder dritten Tag etwas Neues stehe. Nur dann steuerten viele User die Seite regelmäßig wieder an.
"Die Zeiten für Recherche sind weitgehend eingespart worden", berichtete Hallenberger. "Viele Journalisten googeln ihre Artikel aus dem Internet heraus."
Deswegen hält der Medien-Experte eine gute und leicht auffindbare Präsenz im Internet für wichtig. Von Vorteil sei es auch, in der sogenannten "Bloggospähre" präsent zu sein. Zumindestens derzeit erregten die kritischen Blogs beispielsweise über die Bild-Zeitung viel Aufsehen.
 
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