Text von Dienstag, 14. November 2006
Im Zug der Zeit: Billig-Ausverkauf der Bahn | ||
Marburg * (fjh)
"Die Bahn-Reform war ein Flopp", resümierte Prof. Karl-Dieter Bodack. Unter dem Titel "Privatisierung der Bahn - Verschleuderung von Volksvermögen" referierte der ehemalige Bahn-Beamte am Montag (13. November) im Rahmen der Ringvorlesung "Konflikt in Gegenwart und Zukunft" im Hörsaalgebäude der Philipps-Universität an der Biegenstraße. Seiner Ansicht nach ist eine korrekte Privatisierung der Deutschen Bahn AG (DBAG) nach den Regeln des deutschen Handelsrechts völlig unmöglich. Die flächendeckende Infrastruktur der Bahn könne man einfach nicht in einem Börsenprospekt darstellen, erklärte er. Deswegen solle auch gar kein derartiges Material erstellt werden. Mit einem einfachen Rechen-Beispiel stellte Bodack dar, dass der "Börsengang" der Bahn nur durch einen Trick rentabel werden kann: Mit einer Investition von 100 Milliarden Euro könne man bei einem Eisenbahnbetrieb höchstens einen Umsatz von 200 Milliarden erzielen. Erreichbar sei dadurch nur eine Kapital-Verzinsung von höchstens 0,75 Prozent. Das genüge keinem Investor als Rendite. Deswegen wolle Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee die Bahn auch nur zu 40 Prozent ihres eigenen Wertes veräußern. Bahnhöfe und Strecken sollen zwar im Besitz des Bundes verbleiben, aber dennoch in der Bilanz des privatisierten Bahn-Unternehmens geführt werden. So wolle man eine Kapital-Rendite von etwa 5 Prozent erreichen. Allein in den letzten zwölf Jahren habe der Bund mehr als 100 Milliarden Euro in den Ausbau von Schnellbahnstrecken investiert. Trotzdem wolle er die DBAG für nur 40 Milliarden verkaufen. Als Investoren kämen nach Bodacks Einschätzung vor allem saudische Öl-Milliardäre oder Multimillionäre aus asiatischen Ländern oder den sogenannten Golf-Staaten in Betracht. Inwieweit sie aber mit ihrem Engagement möglicherweise andere Interessen verfolgen als die bundesdeutsche Bevölkerung, sei nicht klar. Bei einer zu geringen Kapital-Verzinsung könnte möglicherweise Druck entstehen, Eigentum der Bahn zu veräußern oder weniger rentable Strecken aufzugeben. Zudem könne ein Interesse an höheren Preisen für Öl vielleicht dem Ziel einer Erhöhung des Fahrgast-Aufkommens der Bahn entgegenstehen. Bundesfinanzminister Peer Steinbrück sei dennoch stark interessiert an einem Verkauf der Bahn. Einerseits soll er Geld in die leeren Kassen des Bundes bringen. Andererseits erhofft sich die Regierung davon eine Entlastung ihrer laufenden Etats von den derzeit sehr hohen Investitionen in neue Bahnstrecken. Doch gerade hier sah Bodack ein erhebliches Einspar-Potential: So würden meist die teuersten Trassen mit dem höchsten Tunnel-Anteil geplant, weil das für die Bauwirtschaft lukrativer sei als die jeweils billigere Variante. Da die DBAG das Geld zur Zeit als nicht rückzahlbaren Zuschuss vom Bund erhalte, seien ihr die teureren Planungen auch recht. Als Beispiel nannte Bodack eine neue S-Bahn-Trasse in 40 Metern Tiefe unter der Münchner Innenstadt hindurch. Sie solle gebaut werden, obwohl eine wesentlich preisgünstigere Alternativ-Planung in nur zwölf Metern Tiefe vorliege. Errechne man bei den Schnellfahrstrecken einmal die Investitionssumme pro Minute Fahrzeit-Verkürzung, so kämen bis zu 660 Millionen Euro pro Minute heraus. Mit dermaßen gigantischen Beträgen könne man wesentlich sinnvollere Ergebnisse erreichen. Bodack verwies hier auf die Schweizer Bahnen, die mit genau dem Betrag der Investitionen für eine einzige Schnellbahntrasse der DBAG von München nach Nürnberg ihr gesamtes Netz modernisiert hatten. Doch die DBAG setze auf die Intercity-Express-Züge (ICE) und schränke zu ihren Gunsten die anderen Fernverbindungen immer weiter ein. Bodack selbst war Mit-Urheber des "InterRegio"-Konzepts. Innerhalb von einem halben Jahr hatte es 1988 Fahrgast-Steigerungen von 27 Prozent erreicht. Im Zwei-Stunden-Takt fuhren kostengünstige Züge mit attraktiven Waggons quer durch die Republik Die erste IR-Strecke führte damals von Hamburg über Kassel und Marburg nach Konstanz. Um die Auslastung der ICE-Züge zu erhöhen, habe der DBAG-Vorstand den überaus erfolgreichen InterRegio (IR) aber wieder abgeschafft. Die Waggons seien einfach rot angestrichen worden und firmierten nun als InterCity (IC). Im Gegensatz zum IR sei der IC aber zuschlagpflichtig und somit teurer. Jetzt beginnt die DBAG aber sogar schon damit, auch die IC-Verbindungen einzuschränken. So soll es vom Fahrplanwechsel am Sonntag (9. Dezember) an keine durchgehende Fernverbindung mehr von Leipzig über Kassel und Paderborn nach Düsseldorf geben. "Das ist nicht unsere Bahn", fasste Bodack seine Verärgerung über diese kundenfeindliche Politik zusammen. Er unterbreitete konkrete Vorschläge, wie die Bahn mit geringeren Investitionen eine höhere Wirksamkeit erreichen könnte. Ohne größere Probleme sei es möglich, den InterRegio wieder einzuführen. Seine Neu-Auflage würde Bodacks Berechnungen zufolge sogar eine höhere Kapital-Rendite erzielen als die der derzeit vom Bahn-Vorstand und der Politik favorisierten Schnellbahnstrecken. Zudem hält Bodack es dann auch für durchaus denkbar, dass sich Bahn-Kunden mit Beträgen von wenigen hundert Euro an den Investitions-Kosten für derartige Maßnahmen beteiligen. Diskussionsleiter Prof. Dr. Wolfgang Hesse wies zum Abschluss auf den Verein "Bürgerbahn statt Börsenwahn" hin, dem er und Bodack angehören. Das Publikum forderten beide auf, sich - beispielsweise mit Schreiben an ihre Abgeordneten - gegen die geplante Privatisierung der Bahn auszusprechen. | ||
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