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Text von Montag, 23. Oktober 2006

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 Hunderttausende laut: Auf der Straße Französisch lernen 
 Marburg * (ule)
Es war, als wehte ein Hauch von Frankreich durch die Straßen und Gassen der Bundesrepublik. Mehr als 200.000 Menschen folgten am Samstag dem Aufruf der Gewerkschaften unter dem Motto "Es geht auch anders. Aber nicht von allein!".
Zweieinhalb Jahre hatten die Gewerkschaften gebraucht, um die Menschen aus ihren Startlöchern herauszumobilisieren. Der letzte große Aktionstag gegen die Politik der damaligen Bundesregierung hatte am 3. April 2004 gefunden. Rückblickend hat er die Geburtsstunde einer Neuen Linken in Deutschland eingeläutet.
Kritische Gewerkschafter trafen auf kritische Intellektuelle. Sie verbündeten sich mit Teilen der globalisierungskritischen Linken zu einer anti-neoliberalen Phalanx und schlugen ihren Keil tiefer und tiefer in das sozialdemokratische Lager.
Um schlimmeres zu verhindern wollten die Gewerkschaften jedoch nicht gegen "ihre" Regierung mobilisieren. Sie hatten das SPD-Parteibuch in der rechten und die geballte Faust in der linken Hosentasche.
Für sie wurde die Gründung der Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG) zu einer Wegscheide. Sie mussten wählen, ob sie entweder auf dem gewohnten Pfad weg oder auf einem neuen Weg zurück zu den Ursprüngen der Arbeiterbewegung schreiten wollten. Der überwiegende Teil der Gewerkschafter blieb einfach stehen und ließ die Montags-Demonstrationen und die Ideen von Aktionstagen - wie ungeschehen - einfach an sich vorbeiziehen. Erst die vorgezogenen Bundestags-Wahlen im September 2005 brachten wieder etwas Dynamik in den Prozess und lösten langsam die inzwischen rostig gewordenen Bremsen.
Sozialdemokratische Urgesteine wie Oskar Lafontaine und Ulrich Maurer traten im Blitzlicht-Gewitter der Medien aus der SPD aus und in die WASG ein. Der "Aufruf der Jugend", der "Aufruf der Frauen", der "Aufruf für eine Neue Linke" von Rainer Rilling und Christoph Spehr im Sommer 2005 waren Zeugnis einer Aufbruch-Stimmung, Hinweis auf eine "historische Chance".
Mit dem gemeinsamen Wahlantritt von WASG und PDS formierte sich eine Neue Linke. Sie war mehr als die pure Addition zweier Partei-Apparate und stieß weit in das Lager der Linken hinein. Das Ergebnis ist eine 54 köpfige Linksfraktion im Bundestag. Sie repräsentiert die Linke in ihrer Vielfalt und Breite. Da gibt es ehemalige SPD-Mitglieder wie Oskar Lafontaine und Ulrich Maurer, die nach Jahrzehnten mit ihrer Partei gebrochen haben. Da gibt es Gewerkschafter wie den IG Metall-Bevollmächtigten Klaus Ernst, der 2004 Streiks gegen die "Agenda 2010" organisiert hat. Da gibt es mit Gregor Gysi und Lothar Bisky Gallions-Figuren einer Partei, deren eine Hälfte Dresdens Wohnraum privatisiert, während ihre andere Hälfte ein Bürgerbegehren genau dagegen anstrebt. Da gibt es Leute wie Sevim Dagdelem aus der Migranten-Bewegung, Nele Hirsch aus der Studenten-Bewegung und Axel Troost von der Memorandum-Gruppe.
Diese bunt gemischte und breit verankerte Bundestagsfraktion hat nach ihrem Einzug in den Deutschen Bundestag die parlamentarische Vertretung genutzt, um der außerparlamentarischen Bewegung eine Stimme zu geben. Verbindungsbüros zu außerparlamentarischen Bewegungen und eine Kampagne zur Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns sind die Folge.
Das Resultat ist erstaunlich. Während die SPD unter politischem Zugzwang einen branchenbezogenen Mindestlohn für Beschäftigte in Fensterputz-Firmen eingeführt hat, offenbarte der Gewerkschaftstag des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) im Mai 2006 auf dramatische Weise, wie sehr der SPD allmählich die Basis in den Gewerkschaften wegbricht. 200.000 verlorene Mitglieder seit 1998 wären ja noch zu verkraften. Das aber Franz Müntefering mit Buh-Rufen abgeohrfeigt und Oskar Lafontaine auf der gleichen Veranstaltung mit "standing ovations" belohnt wurde, war in der Tat neu.
Die Gründung einer Neuen Linken hat die "There-is-no-Alternative"-Logik der SPD in ihr Gegenteil verkehrt. Sie hat diese "Logik" ideologisch vom Kopf auf die Füße gestellt.
Es gibt wieder eine Alternative. Das ist das Signal. Diese Alternative heißt: Sich zusammenzuschließen und auf die Straße zu gehen! Die Entwicklung zeigt: Eine linke parlamentarische Fraktion im Bundestag kann die außerparlamentarische Bewegung stärken. Gleichzeitig braucht die Fraktion den Druck auf der Straße, um ihrer Arbeit im Parlament Gewicht zu verleihen. Nur im Zusammenspiel beider Kräfte wird sich die Politik langfristig verändern lassen.
Insofern darf der 21.Oktober 2006 ebenso wie der 3. April 2004 als Zäsur verstanden werden - allerdings mit unterschiedlichen Vorzeichen. Während die Schlagkraft des 3. April die Gewerkschaften noch ideologisch lähmte, dürfte der 21. Oktober nur ein Auftakt zu weiteren Aktionen sein. Wenn wir jetzt noch französisch lernen, könnte aus dem Hauch ein mächtiger Tornado werden!
 
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