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Text von Freitag, 13. Oktober 2006

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 Kontakte knüpfen: Richter aus Polen in Marburg 
 Marburg * (sts)
"Wir bewundern die Flexibilität unserer deutschen Kollegen. In Polen sind die Gerichtsprozesse von einem hohen Formalismus geprägt", lobte der Präsident des niederschlesischen Bezirksgerichts in Swidnica (ehemals Schweidnitz) die Arbeit des Marburger Land- und Amtsgerichts. Sechs polnische Richter sind derzeit zu Gast in der Universitätsstadt. Im Landgericht wurde am Freitag (13. Oktober) die künftige Partnerschaft zwischen den Gerichtsbezirken Marburg und Swidnica öffentlich vorgestellt.
Vor rund einem Jahr hospitierte erstmals ein Richter aus Swidnica in Marburg. Seitdem hat sich der Kontakt über weitere Besuche beider Seiten vertieft. Auch künftig sollen über den Austausch von Richtern die jeweiligen Strukturen und Arbeitsabläufe näher gebracht werden.
"Wir wollen uns besser kennenlernen, voneinander lernen und dabei helfen, immer noch vorhandene Vorurteile abzubauen", sagte der Direktor des Marburger Amtsgerichts, Dr. Hansjürgen Hausmann.
Swidnica ist mit seinen 65 000 Einwohnern durchaus vergleichbar mit Marburg. Dem Präsidenten des Bezirksgerichts, Jacek Scherer, unterstehen aber rund 200 Richter.
"Unsere Rechtssysteme sind in vielerlei Hinsicht ähnlich, aber wir haben vielmehr Fälle zu bearbeiten. Das liegt auch an der hohen Arbeitslosigkeit in unserer Region", erklärte Scherer. Überrascht waren die polnischen Gäste daher auch von den leeren Gängen in den Marburger Gerichten. In Polen wimmelten die Gerichtsgebäude förmlich von Menschen, meinte Scherer.
Im Gegensatz zum deutschen Rechtsystem besäßen die polnischen Richter nur wenige Möglichkeiten der Mediation zwischen den Parteien. Daher dauerten die Verfahren in Polen länger und gingen häufig über mehrere Instanzen. Außerdem müssten viele Richter in Polen auch Aufgaben der Rechtspfleger übernehmen.
Trotz einer gesellschaftlich hohen Reputation verdient ein polnischer Richter nur rund 2.000 Euro im Monat. Notare und Anwälte könnten hingegen ein Vielfaches dieser Summe verdienen.
Die Ausübung des Richter-Berufs erfolgt grundsätzlich direkt im Anschluss an das abgeschlossene Studium. "Von den 200 Richtern meines
Bezirks sind 60 Prozent unter 40 Jahren. Die fehlende juristische Erfahrung ist schon problematisch", berichtete Scherer.
Die Lobes-Hymnen des polnischen Kollegen trafen auf deutscher Seite natürlich auf viel Wohlwollen. Die öffentliche Wahrnehmung vom schwer gängigen und unflexiblen deutschen Gerichtswesen sei aus diesem Blickwinkel nicht nachzuvollziehen.
 
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