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Text von Samstag, 8. April 2006

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 Brutale WM: Das lautlose Sterben 1978 
 Marburg * (sts)
Angesichts von - die Nation spaltenden - Torhüter-Debatten kann es gut tun, den Blick auch einmal über das Fußballfeld hinaus zu wenden. Die wahre Tragik findet sich oftmals erst im Umfeld des Sports, in der Instrumentalisierung des Fußballs.
Eine am Samstag (8. April) eröffnete Ausstellung widmet sich einem solchen dunklen Kapitel der Sport-Geschichte. Unter dem Titel "Fußball und Menschenrechte" beleuchten Amnesty International (AI) und die Koalition gegen Straflosigkeit die Fußball-Weltmeisterschaft 1978 in Argentinien.
Am 24. März 1976 hatte sich dort das Militär an die Macht geputscht. In der Folge war es zu einer nie dagewesenen systematischen Verfolgung von Regime-Kritikern gekommen. In über 300 Haftlagern verschwanden zirka 30.000 Menschen!
"Es war eine lautlose Diktatur", sagte der Soziologe und Argentinien-Experte Prof. Dr. Dieter Boris von der Philipps-Universität. "Viele Opfer und Täter blieben unsichtbar. Viele Gefangene wurden einfach über dem Rio de la Plata aus Flugzeugen geworfen."
Die Weltmeisterschaft 1978 sei den Machthabern gerade recht gekommen, um über ihr brutales Regime hinwegzutäuschen. Die Folterzentren lagen in Buenos Aires nur wenige hundert Meter von den Fußballstadien entfernt. Die Gefangenen konnten in ihren Verliesen die Fußballfans hören.
Trotz der Proteste von Menschenrechtsorganisationen nahm auch die deutsche Nationalmannschaft an der WM teil. Einige Spieler unterschrieben damals aber eine Petition gegen das Militär-Regime. Den Großteil interessierten die Vorgänge jedoch wenig.
Der damalige WM-Teilnehmer Rudi Kargus erklärte in einer Grußbotschaft an die Initiatoren der Ausstellung: "Ich lebte damals in der Parallelwelt des Leistungssports. Dennoch hatte ich das Gefühl, dass wir nicht einfach wegschauen dürfen."
Auch etwa 100 deutsche Staatsbürger sind dem argentinischen Militär-Regime zum Opfer gefallen. In zwei Fällen konnten mittlerweile Auslieferungsanträge gegen die Täter in Deutschland erwirkt werden. Da aber in Argentinien derzeit eine neue Strafverfolgung der ehemaligen Machthaber in Gang gekommen ist, sind diese Auslieferungen bisher nicht erfolgt.
Amnesty International verlangt nun vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) eine öffentliche Entschuldigung bei den Opfern. Eine erste Unterschriftenliste dazu hat der DFB kommentarlos entgegengenommen.
"Die deutsche Regierung und der DFB haben 1978 politisch versagt. Eine Entschuldigung hierfür ist das Mindeste", forderte Katja Schmiederer von Amnesty International.
Die Ausstellung ist noch bis Samstag (22. April) im Rathaus zu sehen. Am Freitag (21. April) wird die Sprecherin der Koalition gegen Straflosigkeit, Angelika Denzler, im Weltladen einen Vortrag zum Thema "30 Jahre nach dem Militärputsch - Die strafrechtliche Aufarbeitung der Menschenrechtsverbrechen und die Rolle der deutschen Diplomatie" halten.
 
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