Text von Samstag, 11. März 2006
Dompteur auf Drahtseil: Linne erläuterte Lokal-Journalismus | ||
Marburg * (anm)
Fernsehen und Internet überholen die Tageszeitungen. Beim Medienforum von "Arbeit und Leben" zum Thema "Lokaljournalismus" am Freitag (10. März) in der Volkshochschule Marburg (VHS) stellte Christoph Linne die Arbeit einer Regionalzeitung im Zeitalter von Internet und TV-Dauerberieselung dar. Linne ist Chefredakteur der Oberhessischen Presse (OP). Seit zwölf Jahren arbeitet Linne als Redakteur bei der Marburger Tageszeitung. Ihre dominierende Stellung in Marburg konnte auch die Marburger Neue Zeitung (MNZ) als "Kopfblatt" der Zeitungsgruppe Lahn-Dill in Wetzlar nicht aufbrechen. Entsprechend dem allgemeinen Trend hat sich auch die OP in einer strategischen Partnerschaft einem der großen deutschen Medienkonzerne angeschlossen. Der Madsack-Verlag hat 2003 einen Anteil von 51 Prozent der OP von Verleger Dr. Wolfram Hitzeroth übernommen. Hitzeroth behielt 49 Prozent der Gesellschafteranteile und firmiert weiterhin als Herausgeber. Der Gewinn von Tageszeitungen setzte sich bis vor wenigen Jahren zu zwei Dritteln aus Einnahmen durch Anzeigen zusammen. Das restliche Drittel steuerten Verkaufserlöse bei. Diese "Faustregel" funktioniert heute nicht mehr: Inzwischen finanzierten sich viele Tageszeitungen zur Hälfte aus den Verkaufserlösen. Durch die "Medienkriese" und sinkende Anzeigenannahmen ist der wirtschaftliche Druck auf die Redaktion gestiegen. Schließlich muß das Niveau mit weniger Mitarbeitern gehalten werden. Dass es der Tageszeitung schwerer fällt, neue Leser zu werben, liegt nach Linnes Einschätzung nicht nur an der demografischen Entwicklung. Vielmehr sei der Rückgang der verfügbaren Haushaltseinkommen sowie die Verbreitung anderer Medien ein Grund dafür. "Bemerkenswert ist, dass sich insbesondere bei den Jugendlichen auch die Glaubwürdigkeit verschoben hat - weg von der Zeitung, hin zum Fernsehen und Internet," erklärte Linne. Um Schüler wieder an seriöse Tageszeitungen und das Lesen heranzuführen, bietet die Redaktion in Zusammenarbeit mit dem Staatlichen Schulamt seit fast 20 Jahren das Projekt "Schüler lesen die OP" an. Er sieht die OP als Heimatzeitung, "Da sie das am besten kann". Vor allem das Spannungsverhältnis von Stadt, Universität und Land fasziniert Linne. Die Redaktion bemühe sich den Spagat zwischen der zu befriedigenden Mehrheit und nicht vernachlässigenden Minderheiten zu schaffen. Deswegen werden ausgewählte Abonnenten befragt. Auf diese Weise können die Leser kritisieren, loben und Verbesserungs-Vorschläge loswerden. Dr. Dr. Adolf Klapproth nutzte die Publikumsrunde zur Kritik. Er bemängelte die täglich in der OP erscheinenden Karikaturen. Er wünschte sie sich "etwas geistvoller". Daraufhin berichtete Linne von einer "großen Fan-Gemeinde" des Karikaturisten Andreas Rulle. Mache er einige Tage Urlaub, so erhalte die Redaktion sofort telefonische Nachfragen, warum seine Zeichnungen im Blatt fehlten. Jeder Beschwerde geht Linne - wie er ausführte - schon aus eigenem Interesse nach. Auch bei Kündigungen fragt die OP nach. Sie häufen sich vor allem vor und nach Wahlen. Viele Leser machten die Tageszeitung dann dafür verantwortlich, dass ihre Partei nicht gewonnen hat. Einmal sei die OP zu schwarz, ein anderes mal zu rot oder zu liberal. "Wenn die Kritik aus allen politischen Lagern kommt, merken wir, dass wir alles richtig machen," meinte Linne. Die OP sich bemühe sich, alle Kandidaten und Parteien den Lesern gleichermaßen vorzustellen. Vor allem bei der Direktwahl zum Oberbürgermeister oder den Bürgermeistern der Gemeinden im Landkreis sei das gut möglich. Die Kandidaten wurden von ihrer politischen und privaten Seite her beleuchtet. Dabei sei jedoch schon der Vorwurf der "Gleichmacherei von Parteien" aufgetaucht. Zur Kommunalwahl am Sonntag (26. März) würden in Form von Übersichten alle Bewerber und alle Ziele der Parteien aus 22 Städten und Gemeinden sowie dem Landkreis Marburg-Biedenkopf vorgestellt. "Fairness ist wichtig," stimmte Franz-Josef Hanke als Moderator des Medienforums seinem Kollegen zu. Aus journalistischer Sicht, dürfe man nicht zum Sprachrohr irgendwelcher Kampagnen werden. Seine Arbeit als Chefredakteur verglich Linne mit einer Raubtiernummer im Zirkus: "Ich bin der Dompteur, der alles unter Kontrolle haben muss! | ||
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