Text von Donnerstag, 2. November 2006
Eulenspiegel: Scheißhaus-Sepp im KFZ | ||
Marburg * (jnl)
Sigi Zimmerschied gilt als ein Grande der deutschen Kabarett-Szene. Am Mittwoch (1. November) gastierte er vor vollem Haus im Kulturladen KFZ. Der 53-jährige Passauer verweigert sich dem Flachsinn der TV-Vermarktung und ist dennoch prominent. Statt auf Comedy-Pointen setzt er auf Theater-Kunst. Sein 10. Solo-Programm "Scheißhaus-Sepp" hat ihm erneut viel Beachtung eingetragen. Es bietet eine Monthy-Python-Reise durch die bürokratische Geisterbahn und das Lügen-Dickicht der Zeitgeist-Gespenster. Das Marburger Publikum hatte keine Mühe, den gemäßigt niederbayrischen Zungenschlag des Kabarettisten zu verstehen. Der waidwunde Klein-Unternehmer Josef Lana ist pleite. Und seine Frau ist ihm ausgebüxt. Aber er kämpft einfach weiter um seine Existenz. Das angestammte Klo-Gewerbe hat seine eigene Würde. Der Staat verlangt Abgaben. Der typische Einzelkämpfer zappelt und wütet. Er wird Bittsteller in der Behörde. Dabei hat er sie alle durchschaut. "So ein Amt ist eine Welt für sich, ja wie betreutes Wohnen", meint er. "Ein Beamter allein ist ein Sozialfall, aber ein ganzes Finanzamt ist praktisch eine Terror-Fabrik." Daher versteht er, sich zu retten, indem er sie zum Lachen bringt. Er erreicht einen Deal. Wenn er es schafft, bei seinem Publikum den Lach-Faktor 120 zu erzielen, wird ihm die Stromrechnung für sein Klo-Häuschen erlassen. Die Zuschauer erleben ein über die Bühne tanzendes "Schandmaul", das sich immer wieder selber Punkte gutschreibt. Und dieser Seppl ist dabei nicht nur erzählerisch urkomisch, sondern von aufreizender Mimik und monsterhafter Akustik. Kabarett ist auch eine Art öffentlicher Bedürfnisanstalt. Kein anderer Kabarettist hat darüber so ungeniert sinniert, wie es Zimmerschied hier tut. Der öffentliche Hofnarr muss punkten und die Gegner an die Wand spielen. "Er ist ein sarkastischer Sisyphos, ein unverbesserlicher Lebens-Bejaher. Kämpferisch Agierender in einer Welt von larmoyanten Jammerern." Es ist manchmal alles eine Frage des "Zammlegn" (Zusammenlegens). "Denn wos fürn Leberkäs gut ist, kann auch für die Bildung net verkehrt san." Das soll der bayrische Bildungsminister Thomas Goppel gesagt haben. So kriegen denn die Herrschaften Politiker und Kleriker nebenbei ihr Fett weg. Am lustvoll nachgeahmten Flatulenz-Geräusch identifiziert Sepp Berufsgruppen und Generationen. "In den 50er Jahren ham's irgendwie noch würdevoller g'schissn." Dagegen sorgten in den lockeren 70ern Körnerfutter und "Cannabis-Schwoabn" für reibungslose Geschäfte. Heute findet er die Havanna-Stumpen der Wirtschaftsjunioren in seiner Anstalt. In Wien gibt es "schickere" Klos. Einer, der das Ohr stets nah am Ort der Verrichtung hat, kann mit Fachkenntnis sagen "wie viel verschiedene Arschlöcher es gibt". Das Finale der komplex verwobenen Erzähl-Stränge hat Ähnlichkeiten mit dem Film "Brazil" von Monty-Python-Mitglied Terry Gilliams. Josef Lana sucht den Ausweg. Aber alle Ausgänge führen zum Ausgangspunkt zurück. Der Existenzkampf in der Gegenwart wird härter. Die heutige Welt wird eine Ausweglosigkeit. Das Theater von Sigi Zimmerschied ist existentiell. Es verweist den eben noch Lachenden auf sich selber zurück. Die Schluss-Szene erlebt den Ausnahme-Kabarettisten als Dirigenten. Der anhaltende Beifall nach der Zugabe steigert sich zu Trampeln, dann zu Skandieren. Der Künstler verabschiedet sich mit einem breit grinsenden "Hallelujah". | ||
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