Text von Sonntag, 9. July 2006
Anpfiff mit Niveau: Beißende Kritik zweier Literaten | ||
Marburg * (fjh/pm)
Zwei misanthropische Schimpfköpfe stellt Jan Süselbeck in seinem Buch "Das Gelächter der Atheisten" vor. Der Autor liest am Donnerstag (13. Juli) um 20.30 Uhr im Café Am Grün. Thema seiner Betrachtungen sind die Autoren Arno Schmidt und Thomas Bernhard "Ich hasse diesen Staat, dachte ich, ich kann nicht anders, als diesen Staat hassen und ich will mit diesem Staat auch nichts zu tun haben", betont Franz-Josef Murau in Bernhards letztveröffentlichtem Roman "Auslöschung. Ein Zerfall" von 1986. Gemeint ist Österreich. Doch auch der von dort aus nach Norden gerichtete Blick verheißt in Bernhards Romanen meist nichts Gutes. Bekannte der Autor doch gegenüber der französischen Tageszeitung "Le Monde" am 15. Januar 1983, seine Schreibweise sei "bei einem deutschen Schriftsteller undenkbar, und ich habe im übrigen eine echte Abneigung gegen die Deutschen". Sein Zeitgenosse Arno Schmidt war einer von ihnen, und er veröffentlichte tatsächlich ganz anders aussehende Texte. Doch er teilte die Abneigung seines österreichischen Kollegen. Am 15. Dezember 1956 verriet er Alfred Andersch kurz und bündig: "The Germany kann me furchtbar leckn!" Diese und viele andere bisher weitgehend unbeachtet gebliebene Übereinstimmungen zwischen den großen Schimpf-Künstlern Bernhard und Schmidt werden in Süselbecks vergleichender Studie erstmals umfassend untersucht. Nicht nur in typischen Idiosynkrasien wie ihrem demonstrativen Hass auf die Kirche und ihrer Verweigerung jedweden gesellschaftlichen Engagements gleichen sich beide Autoren und ihre literarischen Protagonisten auf frappierende Weise. Auch ihre Rezeption oft identischer literarischer Vorbilder, von denen sie sich gerne in äußerst herabsetzender Weise distanzieren, stellt Süselbeck nebeneinander: Schmidt und Bernhard können eine von früherer Wertschätzung geprägte Ambivalenz gegenüber den rüde beschimpften Vorgängern nicht verhehlen - und gleichen sich abermals in der offensichtlich politischen Strategie dieses eigentümlichen Bashings (moderner) Klassiker. Süselbecks Untersuchung zeigt, wie Schmidt und Bernhard den zu ihrer Zeit geradezu religiös verehrten Autoren Adalbert Stifter, Martin Heidegger, Johann Wolfgang von Goethe und Thomas Mann satirische Gegen-Lektüren gönnen, um gegen geschichtsrevisionistische Tendenzen zu polemisieren, die den restaurativen Kultur-Dünkel ihrer Heimatstaaten nach 1945 geprägt haben. Als "ausgleichende Ungerechtigkeit" gegen diesen "literarischen Götzendienst" (Arno Schmidt) zerschlage ihre totale literarische Schmähung jedoch lediglich die kultischen Konstrukte "geistiger Leitbilder" - nicht aber die machtpolitisch instrumentalisierte Literatur der angegriffenen Autoren, argumentiert Süselbeck. Den Schwerpunkt der Arbeit bildet die Erörterung der Frage, welche Rolle die Shoah in den Texten beider Autoren spielt. Gerade auch in der Unterscheidung ihrer - sublimen bis provokatorischen - Schreibweisen wird hier deutlich, welch progressiven und zugleich zeitkritischen Beitrag Schmidt und Bernhard mit ihren Werken innnerhalb der Literatur nach Auschwitz geleistet haben. Veranstalter der Lesung ist das Marburger Literaturforum in Zusammenarbeit mit dem Stroemfeld Verlag, der Buchhandlung Roter Stern und dem Verein "Strömungen". | ||
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