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Text von Freitag, 14. July 2006

> k u l t u r<
  
 Manipulierbare Masse: Fußball-Fans als Tanz-Trottel 
 Marburg * (sts)
Mit dem Ende der Fußball-Weltmeisterschaft scheinen die Diskussionen um die politischen Folgen dieser Veranstaltung nun voll entbrannt zu sein. Der neue deutsche Patriotismus, respektive Nationalismus, wird je nach politischer Gesinnung gelobt oder verdammt. Letzterem Gesichtspunkt widmete sich ein Vortrag im Kulturladen KFZ am Donnerstag (13. Juli).
Zwei Redakteure der Zeitschrift "Gegenstandpunkt" referierten vor rund 30 Anwesenden zum Thema "Deutschland im WM-Fieber: Das Volk spielt schwarz-rot-gold verrückt."
Trotz des öffentlichen Charakters der Veranstaltung waren die beiden Redakteure des "Gegenstandpunkts" nicht bereit, ihre vollständigen Namen zu nennen.
Ihre Argumentation fußte auf einem hierarchischen Gesellschaftsmodell, in dem die Staatsführung eine nationalistische Party organisiert, um das Volk zu schwarz-rot-goldenen "Tanz-Trotteln" zu degradieren. Ziel der "volkspädagogischen Veranstalter" sei es, ein nationales "Wir-Gefühl auszulösen, durch das das Volk zur reinen "Manövriermasse" degeneriert und freudetaumelnd jede noch so bittere politische Pille schluckt. Auch die gesellschaftlichen Außenseiter und Kritiker, Ausländer, Hartz-IV-Empfänger und "Ossis", gehen völlig im neuen Einheitsgefühl auf.
"Sie bejubeln grundlos und unreflektiert den Staat, der sie zu Außenseitern gestempelt hat", war eine der Kernaussagen des Vortrags.
Die Medien spielen dieses "zynische Spiel" mit. Der "Spiegel" spricht von "märchenhaften Zuständen", die "Süddeutsche Zeitung" (SZ) bezeugt: "Stolz auf Deutschland zu sein, ohne auch nur ansatzweise zum Nazi zu mutieren - es geht!"
Die Fußball-WM war also eine Verschwörung der Mächtigen und Meinungsschaffenden des Landes, um ein Volk in "lebende Deutschland-Fähnchen" zu verwandeln?
Ohne Zweifel sind Themen wie die Föderalismus- oder Gesundheits-Reform im Zuge der WM-Euphorie an den Rand gedrängt worden. Natürlich sind gesellschaftliche Realitäten und Unterschiede für vier Wochen verwischt und kaschiert worden. Sicherlich hat die WM der Regierung eher genutzt als geschadet. Doch sind die Deutschen tatsächlich so dumm, wie von "Gegenstandpunkt" behauptet, dass sie dies alles in ihrer schwarz-rot-goldenen Verblendung übersehen?
Oder war die Fußball-WM nicht vielmehr auch ein Ausbruch aus der Alltags-Tristesse, die Flucht in ein Gemeinschafts-Gefühl, das dem Einzelnen eher Selbstvertrauen gegeben statt Identität genommen hat?
All diese Fragen sind interessant. Sie muss jeder Einzelne wohl mit sich selbst ausmachen. Mit der Beantwortung all dieser Fragen aus einem engen Weltverständnis-Korsett heraus, in dem es nur die dummen Massen und die bösartigen Verführer gibt, scheint keinem gedient zu sein.
 
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