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Text von Dienstag, 25. Januar 2005

> b i l d u n g<
  
 Schule ohne Noten: Freie Schule zeigt Alternative 
 Marburg * (fjh/pm)
Wenn es in diesen Tagen Halbjahreszeugnisse gibt, ist das für Kinder mit guten Noten ein schöner Moment. Andere Kinder hingegen fürchten die Zeugnisse. Für viele Kinder ist Schule geprägt durch den Druck, gute Noten erreichen und besser sein zu müssen als die meisten ihrer Freunde. Die Freie Schule Marburg zeigt, wie der Lernfortschritt von Kindern individuell und ohne Konkurrenzdruck dargestellt werden kann.
Einmal im Jahr erhalten die Kinder vor den Sommerferien Schuljahresberichte. In diesen ausführlichen Briefen an das Kind schreiben Schul-Teamer, was das Kind in diesem Jahr gelernt hat und was es sich für das nächste Jahr vorgenommen hat. Zum Beispiel ist da zu lesen: "Vor allem das Rechnen mit Geld hat Dich sehr interessiert. Es fiel Dir leicht, mit Hilfe der Münzen und Scheine auch mit hohen Zahlen zurechtzukommen.".
Die pädagogischen Mitarbeiter stützen sich dabei auf ihre Beobachtungen und auf ein intensives Interview mit jedem Kind. Das Kind und sein Können werden aber nicht bewertet, sondern beschrieben. Vor allem werden die Kinder nicht mit anderen Kindern verglichen.
Ziffernzensuren stellen eine Besser- Schlechter-Rangfolge der Schülerinnen und Schüler auf. Sie teilen den Kindern nichts mit über ihre individuellen Fortschritte. Sie behandeln ungleiche Kinder, als ob sie gleich wären.
"Im Schreiben hast Du dieses Schuljahr ebenfalls große Fortschritte gemacht. Du kennst alle Buchstaben und kannst sie aufschreiben. Es war sehr schön, zu sehen, wie Du tapfer das Schreiben geübt hast, obwohl es Dir so schwerfällt, die vielen Rundungen der kleinen Buchstaben umzusetzen. Oft hast Du mit Deinem Karteikasten und dem Wörterbuch gearbeitet." So beschreibt ein Schuljahresbericht der Freien Schule Marburg den Lernerfolg eines Zweitklässlers.
In eine Note lässt sich dieser Satz nicht umsetzen. Für einen Zweitklässler ist es vielleicht spät, alle Buchstaben schreiben zu lernen - Sechs. Vielleicht lernt der Zweitklässler genau so schnell oder langsam wie die anderen Kinder der Gruppe - Drei. Er hat enorme Fortschritte gemacht - Eins.
Kinder an der Freien Schule Marburg wachsen frei von Zensuren auf - von der ersten Klasse bis ans Ende des sechsten Schuljahrs. Dadurch können die Kinder ohne Angst und ohne Konkurrenz miteinander lernen. Kinder, die schnell lernen, können sich einem Thema in aller Breite widmen, statt nur Tests abzuhaken.
So lernt jedes Kind in seinem Tempo und auf seine Art. Manche Kinder lernen erst nur rechnen und später lesen. Andere beschäftigen sich am Anfang nur mit Buchstaben, Wörtern und Büchern. Auch deshalb ist es nicht möglich, mit Klassenarbeiten den Lernerfolg zu kontrollieren.
Wenn Kinder wissen wollen, was sie können, teilen die pädagogischen Mitarbeiter ihnen mit, welche Lernfortschritte sie gemacht haben und was es noch zu lernen gibt.
Die Eltern erfahren während Gruppen-Elternabenden und Einzelgesprächen, wie es ihrem Kind in der Schule geht und was es lernt. Sie müssen keine Klassenarbeiten unterschreiben, um einen Leistungsstand zu erfahren.
Wechselt das Kind nach dem sechsten Schuljahr oder früher auf eine weiterführende Schule, erhält die neue Schule ebenfalls einen Bericht über die Entwicklung und die Fähigkeiten des Kindes. Lehrer, Kinder und Eltern einigen sich im Gespräch, welche Schulform oder welchen Kurs der integrierten Gesamtschule das Kind besuchen wird.
Die Schuljahresberichte sind mehr als eine Leistungsbeschreibung. Den Kindern helfen sie, auf das vergangene Schuljahr zu schauen, weil im Bericht Themen und Ereignisse beschrieben werden. Zum Beispiel "Du hast Dich mit den Tausender-Kisten beschäftigt, mit Peter und Mäxchen Häuser gebaut, die Steine in Geld umgerechnet und dann verkauft" oder "Du warst mit Feuereifer dabei, den Garten umzugestalten, und ich hatte den Eindruck, dass dieses Projekt genau das ist, was Du Dir schon lange gewünscht hast".
Im Schuljahresbericht stehen auch solche Sätze: "Die Regeln unserer Schule sind Dir sehr wichtig und wenn sie überschritten werden, hast Du Dich immer laut und deutlich beschwert." Soziales Lernen und das Lernen der Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen werden als gleichwertig betrachtet.
Oft sind die Kinder beim Lesen ihres Berichts überrascht, wie viel sie gelernt haben und was es alles in der Schule zu tun gab.
 
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