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Text von Sonntag, 27. März 2005

> s o z i a l e s<
  
 Jugendlichkeits-Wahn: Turbo und sexy Urbi et Orbi 
 Marburg * (fjh)
Den Segen "Urbi et Orbi" hat er "der Stadt und dem Weltkreis" nur stumm erteilt. Den Gläubigen auf dem Petersplatz in Rom wie auch Millionen Fernsehzuschauern bot Papst Johannes Paul II. am Ostersonntag (27. März) ein erbarmungswürdiges Bild. Immer häufiger vergleichen Kommentatoren seinen Zustand mit dem "Leiden Christi".
Der 84-jährige leidet an der Parkinsonschen Krankheit. Nach einem Luftröhrenschnitt fällt ihm das SPrechen schwer. Wenn es ihm überhaupt gelingt, dann rinnt ihm wärenddessen der Speichel in Fäden aus dem Mund.
Zwischen Bestürzung, Trauer und Ekel bewegen sich die Reaktionen der Zuschauer dieses traurigen Schauspiels. Trotz seiner schweren Krankheit hält der greise Papst eisern an seinem Amt fest. "Es gibt kein Altersheim für Päpste", antwortet er auf alle Vorschläge, aus Gesundheitsgründen zurückzutreten. Und so bietet er den Fernsehkameras seinen Anblick feil: Ein sabbernder, kraftloser Greis mit eisernem Willen rückt der irritierten Welt ein Bild des Leidens vor´s Auge.
Wie viele Menschen mögen allein in Marburg an der Parkinsonschen Krankheit leiden? Wie viele von ihnen trauen sich nicht, in ein Restaurant zu gehen, um den anderen Gästen den Anblick eines sabbernden Restaurant-Besuchers zu ersparen? Wie viele Menschen mag ihre Krankheit einsam gemacht haben?
Kaum jemand denkt über diese Fragen nach. Kaum jemand möchte sich mit Krankheit und Leiden auseinandersetzen. In einer von Werbung weichgespülten Gesellschaft mit überzogenem Jugendlichkeits-Wahn werden Krankheit und Leid kurzerhand ausgegrenzt.
"Das Leid beseitigen" wollen die Befürworter der Gentechnik. Sie verheißen vollmundig die Abschaffung aller Krankheiten. Mehr noch: Einige von ihnen denken bereits über Möglichkeiten nach, der Menschheit "ewige Jugend" einzupflanzen.
Doch das Leid wird die Menschheit begleiten, solange es Menschen gibt. Daran erinnern die Bilder des polnischen Papstes. Das ist - angesichts des Jugend-Wahns der modernen westlichen Medien - ein wichtiges Verdienst. Noch besser wäre aber, wenn wir das Leid nicht nur im Fernsehen anschauten, sondern in unserer Nachbarschaft und Verwandtschaft.
 
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