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Text von Samstag, 26. Februar 2005

> s o z i a l e s<
  
 Nix Fisch, nix Fleisch: Manchmal kommen sie ans Auto 
 Marburg * (hjf)
Der weiße Mercedes Vieto saust den Hügel hinauf. Rechts und links von ihm erstrecken sich weite, schneebedeckte Felder. Auf der Seite des Wagens sind zwei große Aufdrucke zu sehen: "Daimler Crysler - Wir machen mit" und ein orangefarbenes Rechteck mit einem kreisförmig angedeuteten Teller in gelb. Auf dem Kreis liegen eine Gabel und ein Messer. Unter dem Rechteck steht - wieder in orange - "Marburger Tafel".
Seit dem Jahr 2001 holt die "Marburger Tafel" Lebensmittel aus den Supermärkten der Region ab und verteilt sie an Bedürftige. Bedingung ist allerdings, dass die Kunden ihre Bedürftigkeit nachweisen. Das geschieht etwa mit einem entsprechenden Bescheid der Sozialbehörden. Für einen Korb voller Lebensmittel zahlen die Kunden einen symbolischen Euro, damit nicht der Eindruck einer Almosenvergabe entsteht. Bei den Lebensmitteln handelt es sich um Spenden von Supermärkten, die meistens schon sehr nahe am Verfallsdatum sind. Neuerdings fahren die Mitarbeiter auch den Herkulesmarkt in Marburg an. Dem ist das sehr recht, weil jetzt nicht mehr so viele Menschen bei den Mülltonnen des Marktes herumlungern. Bislang wurden die Waren einfach weggeworfen.
Der Vieto biegt um eine Kurve und fährt dann auf den Lieferantenparkplatz des ersten Supermarktes an diesem Morgen. Im Wagen sitzen Jörg Schöffmann und Fritz Drusel bei bester Laune. Die beiden Rentner arbeiten ehrenamtlich für die Marburger Tafel.
Insgesamt engagieren sich rund 100 freiwillige Helfer für die Tafel. Ein Teil von ihnen - meist die Männer - fahren mit Bussen los und holen die Lebensmittel ab. Die anderen Helfer warten auf die ankommenden Waren und packen sie dann in 50 mal 40 Zentimeter große Kunststoffkörbe.
"Wir können natürlich nur verteilen, was da ist", betont Rita Vaupel. Sie ist die Vorsitzende des "Marburger Tafel e.V." und hat den Verein im Jahr 2000 gegründet. "Die überwiegende Mehrheit der Kunden ist auch sehr dankbar." Aber manchmal gebe es auch Unmut, erzählt Fritz während der Fahrt. Einmal hat er einen Kunden gefragt, ob er zufrieden sei. Daraufhin habe der Mann nur etwas traurig geschaut und gesagt: "Nix Fisch, nix Fleisch".
Im Gründungsjahr hatte der Verein nur sieben Kunden. Inzwischen versorgt die Tafel jedoch bereits 1200 Menschen mit den wichtigsten Nahrungsmitteln. Es kommt natürlich vor, das die Körbe mit unterschiedlichen Esswaren bestückt werden. Nach Weihnachten etwa, gibt es viel Schokolade, dafür wenig Obst und Gemüse. Gelegentlich beschweren sich einige Kunden dann über eine ungerechte Verteilung.
Fritz und Jörg sind jeden Donnerstag zusammen unterwegs. Schon früh morgens machen sich die beiden auf den Weg, um die Märkte anzufahren. Dass sie sich gut verstehen ist auch durch die lockere Atmosphäre spürbar.
Gleich der erste Supermarkt ist ein Volltreffer. Überwiegend Obst und Gemüse, Salat und Brot vom Vortag warten auf den Wagen geladen. Aber auch einige Milchprodukte und Süßigkeiten sind dabei.
Jeder Handgriff der beiden Männer sitzt: Einer steht auf der Laderampe des Marktes und packt die Lebensmittel in Körbe. Der Andere räumt sie dann ins Auto. "Manchmal gibts nur eine Kiste und manchmal gibt es richtig viel", erklärt Jörg. Gelegentlich gibt es auch wahre Mammutspenden. Die Schokoladenfabrik Ferero aus Stadtallendorf etwa, spendete der Marburger Tafel einmal sechs Tonnen ihrer Produkte. "Da waren wir den ganzen Vormittag mit drei Wagen unterwegs".
Nach dem Einladen springen die beiden Helfer flotten Schrittes und frohen Mutes in den Lieferwagen. Sie sind recht zufrieden mit der "Beute". Bei den zum Teil erheblichen Mengen Lebensmitteln sind Fritz und Jörg froh, dass sie einen Kleinbus zur Verfügung haben.
Zu den prominenten Mäzenen der bundesweiten Tafelbewegung gehört auch Daimler-Crysler. Der Autohersteller hat den Mercedes Vieto zur Hälfte gesponsert. Der zweite Kleinbus ist ein Geschenk der Kasseler Tafel. Die Marburger Autowerkstätten unterstützen den Verein durch Rabatte auf Reparaturen.
Eine Gönnerin spendet jeden Monat einige Zentner Kartoffeln, die sie auf ihrem Bauernhof geerntet hat. Auch finanzielle Unterstützung ist wichtig. Einerseits stammt das benötigte Geld aus den Beiträgen der Vereinsmitglieder. Ein anderer Teil wird aus dem symbolischen Euro der Kunden erzielt. Aber auch Spenden von Privatpersonen sind willkommen.
Nach dem letzten Supermarkt schaut Fritz auf die Ladefläche des Vieto: "Heute können wir ganz zufrieden sein", meint er fröhlich. Jetzt geht's zur Lager- und Ausgabestelle der Marburger Tafel in der Ernst-Giller-Straße.
Hinter einem Fenster erwartet die Beiden die große Metallrutsche in den Lagerraum. Darauf lassen Fritz und Jörg die zuvor gepackten Körbe nach unten gleiten. Dort stehen Helfer, die die Lebensmittel schon dringend erwarten und in die kleineren Kundenkörbe umpacken. Denn im Moment sieht es schlecht aus mit Waren. Die Regale im Lager und in den beiden Kühlzellen sind ziemlich leer. Warum derzeit nur wenige Esswaren hereinkommen, können sich die Mitarbeiter auch nicht erklären. Aber der Helferin Brigitte Schöffmann ist die Besorgnis anzumerken: "Mal sehen, was wir heute den Leuten einpacken können. Sieht aber eher schlecht aus." Über 100 Kunden werden an diesem Tag erwartet Sie alle wollen etwas zu beißen haben.
"Manchmal gehen sie uns sogar bis zum Auto nach und wollen noch was haben", erzählt Fritz betroffen. Er muss dann erklären, dass sie nur das bekommen können, was in den Körben ist. In Zukunft müssen die Körbe wohl schmaler gepackt werden. Bisher hat Rita Vaupel noch keine Auswirkungen von Hartz IV bemerkt. Sie rechnet aber schon bald mit einer Welle von neuen Kunden, die ohne die Hilfe der Marburger Tafel in ihrer Existenz bedroht sein werden.
Nach dem Ausladen der Körbe fahren Jörg und Fritz den Wagen zum Parkplatz. Dort wartet er auf seinen nächsten Einsatz am nächsten Tag. Ein Tag, an dem die Mitarbeiter der Tafel erneut auf möglichst viele Lebensmittel hoffen, die ohne den Einsatz der Helfer im Mülleimer landen würden.
 
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