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Text von Freitag, 14. Oktober 2005

> p o l i t i k<
  
 Vertrag besiegelt: Stadt und Sinti kooperieren 
 Marburg * (fjh)
Gegen die Diskriminierung seiner Bevölkerungsgruppe möchte der Vorsitzende des Landesverbands der Roma und Sinti in Hessen künftig gemeinsam mit der Stadt Marburg ankäpmfen. Adam Strauß und sein Vorstandskollege Josef Behringer vom Landesverband sowie Oberbürgermeister Egon Vaupel und Bürgermeister Dr. Franz Kahle unterzeichneten am Freitag (14. Oktober) im Rathaus einen entsprechenden Rahmenvertrag.
Die Vereinbarung regelt die Grundlagen einer künftigen Zusammenarbeit zwischen der Stadt und dem Landesverband. Wichtige Grundsätze sind dabei ein Diskriminerungsverbot, die Förderung der Gleichstellung und die Berücksichtigung der besonderen kulturellen Bedürfnisse von Roma und Sinti in Marburg.
Nach Bad Hersfeld ist Marburg die zweite Stadt in Hessen, die einen derartigen Vertrag unterzeichnet. Vaupel berichtete, dass Vertreter mehrerer anderer Städte sich inzwischen beim Marburger Magistrat nach dem Vertragswerk und seinem Zustandekommen erkundigt hätten.
Kahle erinnerte an die gute Zusammenarbeit zwischen Stadt und Landesverband. Alt-Oberbürgermeister Dietrich Möller habe sie seit Jahren schon aufgebaut. Zahlreiche gemeinsame Veranstaltungen hat es schon gegeben. Diese Arbeit wolle die Stadt fortsetzen.
Mit dem Institut für Antiziganismusforschung unter seinem Vorsitzenden Prof. Dr. Wilhelm von Solms sowie zahlreichen wissenschaftlichen Arbeiten an der Philipps-Universität habe Marburg hier eine gute Tradition, resümierte Kahle. Diese Tradition wolle die Stadt ausbauen und pflegen.
Schätzungsweise 200 Roma und Sinti leben in Marburg. Genaue Zahlen sind nicht bekannt, da die Zugehörigkeit zu dieser Bevölkerungsgruppe mittlerweile - im Gegensatz zu diskriminierenden Praktiken auch noch nach Kriegsende - nicht erfasst wird. Viele lebten vollkommen unauffällig und oft auch unerkannt innmitten der Gesellschaft.
Daneben gebe es aber auch Problemgruppen. Ihnen will die Stadt - wie auch Personen mit Migrationshintergrund oder anderen Menschen mit besonderen Problemstellungen - besondere Unterstützung anbieten. Vaupel denkt dabei an ein Schulprojekt, mit dem Kinder aus Roma- und Sinti-Familien spezielle Förderung erhalten. Hinzu könne auch eine Unterstützung ihrer Familien durch den Arbeitskreis Soziale Brennpunkte (AKSB) beispielsweise im Stadtteil Waldttal kommen.
Welche konkreten Maßnahmen im Einzelnen nötig sind, das möchte der Landesverband jetzt in einer Befragung der Betroffenen ermitteln. "Ich möchte nichts ohne die Betroffenen machen", stellte Strauß klar.
Für außerordentlich wichtig hält er die Bildung. Zu lange hätten Roma und Sinti die Bedeutung einer guten Ausbildung nuterschätzt. In ihr sehen er und Behringer einen wichtigen Schlüssel zur Integration.
Vaupel hofft für konkrete Förderprojekte auch auf finanzielle Unterstützung der Europäischen Union (EU). Auf ihre Rahmenvereinbarung mit den Roma und Sinti geht auch das Marburger Vertragswerk zurück. Es ist also nur geltendes Recht, das Stadt und Landesverband mit ihrer Vereinbarung ausfüllen.
"Seit 600 Jahren leben die Roma und Sinti in Deutschland. Seit dieser Zeit gibt es auch ihre Diskriminierung", bedauerte Behringer. "Wenn die Leute wissen, dass Du Sinto bist, behandeln sie Dich anders", fügte Strauß hinzu.
Mehrere Verwandte hat er im Konzentrationslager verloren. Seine Mutter fiel den grausamen Menschenversuchen des Nazi-"Arztes" Josef Mengele zum Opfer.
Doch auch heute noch stoße man bei 90 Prozent der Bevölkerung auf antiziganistische Einstellungen, schätzte er. Viele Vorurteile über "Zigeuner" hätten jedoch mit der Wirklichkeit wenig zu tun. Deswegen sehen Stadt und Landesverband es auch als gemeinsame Aufgabe an, die Bevölkerung über die Roma und Sinti besser aufzuklären.
 
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