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Text von Dienstag, 7. Juni 2005

> p o l i t i k<
  
 Bestochenes Volk: Das Soziale im Nationalsozialismus 
 Marburg * (sts)
"Es war ja auch nicht alles schlecht". Diesen Satz wird wohl jeder schon einmal über die Nazi-Herrschaft in Deutschland gehört haben. Dass diesem Satz aber weniger romantische Verklärung im Sinne eines "Früher war ohnehin alles besser" innewohnt oder ursächlich eine noch immer vorhandene nationale Verblendung zugrunde liegt als vielmehr konkrete sozialpolitische Maßnahmen des Staates zu jener Zeit, diesem Nachweis hat sich der Historiker Dr. Götz Aly gewidmet. Am Montag (6. Juni) stellte er im Kulturladen KFZ>/a> sein Buch "Hitlers Volksstaat" vor. Etwa 100 Anwesende folgten über zwei Stunden lang Alys Ausführungen aus dieser bisher wenig beachteten Perspektive.
"Durch soziale Bestechung der eigenen Bevölkerung - finanziert über die konsequente Ausbeutung der besetzten Staaten und der Juden - hat die deutsche Familie bis 1945 fast nichts von der Kriegsbelastung gespürt", könnte Alys Kernthese in einem Satz zusammengefasst werden. Bis 1938 sei das Deutsche Reich innerlich wie äußerlich ausufernd expandiert.
Die enormen Rüstungskosten und sozialpolitische Zugeständnisse wie die Krankenversicherung für Rentner, das Ehegatten-Splitting, die Kilometerpauschale, das Kindergeld sowie allgemeine Lohn-, Urlaubs- und Rentenerhöhungen verschlangen Unsummen. Bereits im Herbst 1938 sei das Reich durch die Politik dieser "spekulativen Staatsverschuldung" eigentlich pleite gewesen.
Die "Reichspogromnacht" vom 9. November 1938 diente nach Alys Meinung nicht zuletzt dazu den Staat zahlungsfähig zu halten. "Die Juden wurden per Gesetz zur Zahlung von einer Milliarde Reichsmark verpflichtet.
Diese in Aussicht stehende Einnahme machte die Aufnahme weiterer Kassenkredite möglich, um den Staatsapparat am Laufen zu halten", erläuterte der Autor.
Zu Kriegsbeginn wurde diese Gefälligkeitspolitik des Regimes auf Kosten des Lebensrechts anderer Menschen drastisch verschärft. Die besetzten Länder hatten das Doppelte ihres jährlichen Staatshaushaltes an das Deutsche Reich zu zahlen. Zur Finanzierung wurden alle Juden der besetzten Länder enteignet. Dieses Geld diente auch dazu die Besatzungstruppen zu besolden.
"Ein deutscher Soldat in Frankreich wurde in Franc bezahlt, ein deutscher Soldat in Griechenland mit Drachmen", veranschaulichte Aly. Auf diese Weise konnten große Teile der Kriegskosten auf die Haushalte der besetzten Länder abgewälzt werden.
"Durch diese Geldwäsche-Politik konnte die Inflation im Kernland bei lächerlichen zehn Prozent stabilisiert werden, während sie in Frankreich beispielsweise bei 160 Prozent lag", belegte Aly seine These anhand statistischer Daten.
Im deutschen Kerngebiet diente der sogenannte "Einsatzfamilien-Unterhalt" dazu, die Leute "bei Laune zu halten." Befand sich der Ernährer im Krieg, so erhielt die Familie 85 Prozent seines letzten Nettolohnes als Ausgleich.Außerdem wurden großzügig Sonderleistungen wie Ratenabzahlungen, Ausbildungsbeihilfen, ja sogar Klavierstunden bewilligt.
Auch die Lebensmittelversorgung konnte fast bis zum Kriegsende auf hohem Niveau gehalten werden. "Von der Ausbeutung der europäischen Minderheiten - besonders der Juden - profitierten 95 Prozent der deutschen Bevölkerung." Diesem Satz war nach dem informativen Abend kaum etwas entgegenzuhalten.
 
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