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Text von Samstag, 18. Juni 2005

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 Aufmerksame Bewegung: Soziale Rechte müssen erkämpft werden 
 Marburg * (sts)
"Wir tragen den Neoliberalismus bereits in uns. Der Individualisierung und dem Konkurrenzkampf müssen wir alternative gesellschaftliche und ökonomische Ideen entgegenstellen", meinte Sven Giegold. Der Wirtschaftswissenschaftler ist Mitbegründer des globalisierungskritischen Netzwerkes "Attac". Am Freitag (17. Juni) referierte er im Marburger Weltladen zum Thema "Überlegungen zur Strategie derglobalisierungskritischen Bewegung?".
Rund 50 Anwesende lauschten nicht nur gespannt dem Vortrag, sondern diskutierten auch noch später angeregt mit dem Globalisierungsexperten.
Grundproblem der heutigen Welt sei das Ungleichgewicht von globaler Wirtschaftsmacht und nationaler Demokratie: "Politik und Ökonomie müssen auf gleicher Ebene sein", forderte Giegold.
Die Nationalstaaten könnten kaum regulierend auf den Markt einwirken, ohne sich selbst wirtschaftlich zu schaden. Auf globaler Ebene existierten keine politischen Institutionen, die der Welthandelsorganisation (WTO) oder dem Internationalen Währungsfonds (IWF) entsprechen.
"Entweder muss der globale Markt renationalisiert werden, oder es muss eine Internationalisierung der sozialen Rechte geben. Ich tendiere zur zweiten Möglichkeit", machte der Wahl-Pariser deutlich. Grundrechte für alle Menschen seien auf globalem Parkett festzuschreiben.
Auf diesem steinigen Weg könnte die Europäische Union (EU) als Zwischenschritt dienen. Die europäische Bühne müsse zum zentralen Ort des Konfliktes um den Sozialstaat gemacht werden.
Dafür sei aber die internationale Handlungsfähigkeit der einzelnen globalisierungskritischen Bewegungen und der Gewerkschaften unerlässlich: "Ich könnte mir beispielsweise einen europäischen Generalstreik als neues politisches Instrument vorstellen", überlegte Giegold.
Neben zukünftigen Zielen sprach Giegold auch über Erfolge und Niederlagen von "Attac". Armutsbekämpfung und Welthandel seien als Themen auf die politische Tagesordnung zurückgekehrt. Viele Liberalisierungsvorhaben wie nicht zuletzt die Europäische Verfassung seien gestoppt worden. Dennoch sei die unkontrollierte Liberalisierung weiter vorangeschritten. Nur das Tempo habe sich etwas verlangsamt.
Besonders die Schwächung nationaler Demokratien durch die Einengung sozialer Rechte in den westlichen Staaten sei besorgniserregend. "Es gibt eine massive Spaltung der Welt. Allerdings nicht mehr einfach von Nord nach Süd, sondern in Konsumgesellschaften und Armutsgesellschaften", erläuterte Giegold.
Gerade Schwellenländer wie Indien oder China hätten wirtschaftlich enorm aufgeholt. Nun drohten sie aber ähnliche Fehler zu begehen wie die westlichen Nationen.
Zwei entscheidende Achillesfersen will Giegold aber am Neoliberalismus entdeckt haben. Auf ökonomischer Ebene böten die Markennamen globaler Konzerne eine konkrete Zielscheibe für abgestimmte Angriffe. In politischer Hinsicht entspreche das - vom Neoliberalismus propagierte - Menschenbild nicht den wirklichen Gegebenheiten: "Ich glaube, kein Mensch will total flexibel, total leistungs- und profitorientiert sein. Eine gewisse Sicherheit zum Beispiel des Arbeitsplatzes und ein geborgenes Umfeld stehen über purem Materialismus", fand Giegold hoffnungsvolle Schlussworte.
 
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