Text von Mittwoch, 12. Oktober 2005
Wahnsinniger Dichter: Lenz als Schau- und Hörspiel | ||
Marburg * (fjh)
"Der Lenz hat mich schon seit meienr Jugend regelrecht verfolgt", gestand Steffen Schmidt. Sein "Schau- und Hörspiel" nach einem Erzählfragment von Georg Büchner feiert am Mittwoch (19. Oktober) in der Waggonhalle Premiere. Einen Ausblick auf sein Stück "Lenz - eine Reise ins Nichts" eröffnete der Regisseur bereits am Mittwoch (12. Oktober) in der Kneipe "Rotkehlchen". Büchner hat seinen "Lenz" nur als Fragment hinterlassen. Die Literaturwissenschaft streitet sich darum, welches die richtige Fassung des Prosa-Textes ist. Unbestritten ist aber, dass es sich beim "Lenz" um ein unvollendetes Manuskript handelt. Der Text befasst sich mit der psychischen Erkrankung des Dichters Lenz. Dafür habe Büchner auch auf Vorlagen des Dichters selbst und anderer Autoren zurückgegriffen, berichtete Schmidt. So habe er Johann Wolfgang von Goethes "Dichtung und Wahrheit" eine Beschreibung des Lenz entnommen. Büchner ging es aber nicht in erster Linie um die historische Person, sondern um die Auseinandersetzung mit Religiosität, mit Leistungsstreben, Entfremdung und Entmenschlichung. Wohl auch deswegen nennt er seinen "Lenz" nie beim Vornamen. Jakob Michael Reinhold Lenz (1751 - 1792) fand in Kollegenkreisen zu seiner Enttäuschung nicht die gewünschte Anerkennung als Dichter. Zu allem Überfluss habe ihm Goethe sogar noch eine Frau weggeschnappt, erläuterte Schmidt. Schließlich sei der Schriftsteller dem Wahn verfallen. Freunde schickten ihn daraufhin von Straßburg in ein kleines Dorf im vogesischen Steintal. Dort sollte der Dorfpfarrer Johann Friedrich Oberlin ihm helfen. Der evangelische Geistliche war als Wunderheiler bekannt. Oberlin nahm sich des Autors an. Lenz wiederum übernahm viele religiöse Ansichten des Pfarrers. Doch als ein Mädchen vor seinen Augen starb und alle Rettungsversuche erfolglos blieben, wandte sich Lenz endgültig dem Atheismus zu. Immer heftiger wurden die Ausbrüche seiner Krankheit. Schreiend rannte er herum, warf sich in den Brunnen oder lief stundenlang rastlos umher. Vor allem den Frauen im Dorf machte das Angst. So schickte Oberlin seinen Schützling nach 20 Tagen wieder nach Straßburg zurück. Schmidt hat Büchners Textfragment um andere Texte ergänzt. Sie stammen aus Büchners Quellenmaterial ebenso wie aus der Sekundärliteratur über den "Lenz". In einer Mischung aus Szenischer Lesung und Textcollage mit eingeblendeten Einspielungen versucht Schmidt, die Bedeutung des Büchner-Textes herauszuarbeiten. Antje Kessler berichtete, dass der Regisseur ihr bei den Proben große Freiheiten eingeräumt habe, mit dem Textmaterial zu experimentieren. Die Darstellungsweise selbst sei für sie als Schauspielerin allerdings recht ungewöhnlich, das sie sich in manchen Passagen eher mit den Sprechenden identifiziere, wohingegen sie an anderen Stellen eine klare Distanz dazu aufbaue. Beinahe könnte man Schmidts Inszenierung deshalb als "Literaturwissenschaftliches Schau- und Hörspiel" bezeichnen. Zumindestens der Regisseur und die beiden Schauspieler Antje Kessler und Matt Dressler haben sie aber als durchaus spannend erlebt. Doch Schmidt wäre schon sehr zufrieden, wenn die Zuschauer nach der Aufführung beschlössen, einmal Büchners Original-"Lenz" zur Hand zu nehmen. | ||
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