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Text von Sonntag, 5. Juni 2005

> k u l t u r<
  
 Begeisternde Hiebe: Diktatoren, Deppen, Schmarotzer 
 Marburg * (fjh)
"Bis neulich!" Mit diesen Worten verabschiedete sich Volker Pispers am Samstag (4. Juni) von seinem Publikum. "Bis neulich" lautete aber auch der Titel seines Kabarettprogramms. In der vollbesetzten Marburger Stadthalle präsentierte er am Samstagabend fast drei Stunden lang ein "Best of 20 Jahre Volker Pispers".
Als Therapie gegen die Verzweiflung an der gesellschaftlichen und politischen Wirklichkeit bezeichnete Pispers das Kabarett. Für viele sei es aber auch nur eine Art Ablass für ihr schlechtes Gewissen.
Unablässig brandmarkte Pispers die Inkompetenz vieler Politiker. Die regierenden Sozialdemokraten hält er für "zu dumm". Wer eine Politik betreibe, die vor allem seiner Stammwählerschaft wehtut, der dürfe sich über die massenhafte Abwanderung dieser Wähler nicht wundern.
Die CDU werde die Probleme Deutschlands aber auch nicht lösen. Sie habe derzeit nur zwei inhaltliche koonzepte vorgelegt, die sie nach einer wahl zur Regierungspartei umsetzen wolle. Das eine seid die "Kopfpauschale" im Gesundheitswesen, das andere die Vereinfachung des Steuersystems. Die "Kopfpauschale" werde den Staat 35 Milliarden Euro zusätzlich kosten, die Steuerreform nach den Vorschlägen von Friedrich Merz 25 Milliarden weniger einbringen. Aber Angela Merkel sei ja Physikerin: "Doppeltes Minus ist Plus!"
Die aktuelle Steuersenkungs-Debatte führte Pispers mit einem Vergleich ad Absurdum: Niemand würde zu seinem Chef gehen und sagen: "Ich kann die Miete nicht mehr zahlen. Senken Sie bitte meinen Lohn!"
Immer wieder hantierte Pispers an diesem Abend mit Zahlen. So verglich er die Kosten eines Strafgefangenen mit denen eines Ostdeutschen, eines Bauern oder eines Arztes. Dann fragte er, ob man Ärzte wegen der Kosten für die Allgemeinheit nicht lieber inhaftieren oder in die ehemalige DDR schicken sollte.
Gerne erinnert Pispers auch an fast vergessene Vorgänge aus der jüngeren Geschichte. Ganz besonders haben es ihm dabei die Diktatoren angetan, mit denen sich die US-Regierungen verbrüdert haben: Mohammed Rezza Pahlevi, Augusto Pinochet, Saddam Hussein und Ossama Bin Laden. Pispers rollte ihre Geschichte und die Verstrickung der US-Politik in ihre Machenschaften auf und zeigte, was sich daraus dann entwickelt hat. Für seine Beteiligung am Allende-Putsch habe US-Außenminister Henry Kissinger den Friedensnobelpreis erhalten.
Bitter und zynisch kommen die Pointen dabei manchmal herüber. Boshafte Seitenhiebe auf die beteiligten Politiker kann sich Pispers auch nicht immer verknneifen. So fragte er sich, ob die Budnesgesundheitsministerin Ulla Schmidt wohl zuständig sei oder ständig zu.
Den besonderen Zorn des Kabarettisten haben sich Unternehmensberater und Banker zugezogen. "Investmentbanker führen unser Geld Gassi", meinte er. Das Wort "Analyst" enthalte nicht ohne Grund das wort "Anal". Das charakterisiere das, was bei den Analysen dieser Leute meist herauskomme.
Den Vorstandsvorsitzenden der Deutschen bank hält Pispers für zu gut bezahlt: "Ackermann kann nicht über seine verhältnisse leben. Er hat es versucht, aber es ist ihm nicht gelungen. Er lebt über unsere Verhältnisse."
Drei kurze Spielszenen hatte Pispers in sein Programm eingestreut. Eine davon zeigte die Schule, wie sie künftig aussehen könnte. Werbe-Einbelndungen zwischen den Unterrichtsstunden, Jingles mit Ansagen wie "Gerd, der Lehrer, der gehört gehört" oder auch Werbe-Aufschriften auf der Kleidung der Pädagogen könnten dann vielleicht das Interesse der Schüler erregen. Sie könnten dann wählen zwischen der Aldi-Hauptschule oder dem Benetton-Kolleg. "Die Realschule gibt es ja schon", stellte Pispers fest.
Nach der zweiten Zugabe und donnernden Applaus beschloss der Kabarettist den grandiosen Abend mit einem eindringlichen Appell: 1987 sei er zum erstenmal in Marburg aufgetreten. Damals seien nur 30 Leute ins KFZ gekommen. Nun sei er durch das Fernsehen bekannt und es kämen mehr als 1.000 Besucher. Doch es gebe noch etliche gute Kabarettisten, die nicht so bekannt seien und zu denen kaum Publikum komme. Auch ihnen solle man eine Chance geben, forderte Pispers: "Nicht alles, was im Fernsehen kommt, ist gut. Und nicht alles, was gut ist, kommt auch im Fernsehen."
 
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