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Text von Freitag, 10. Juni 2005

> k u l t u r<
  
 Beklemmendes Bad: Deutschland surreal 
 Marburg * (mid)
Mit einer ausverkauften Vorstellung feierte am Donnerstag (9. Juni) "Deutschland. Einig. Badeland" Premiere. Das Stück des oberhessischen Autors Seep Jakobs hat der Regisseur Steffen Schmidt auf die Bühne der Waggonhalle gebracht.
Der Geruch von Chlor stimmte das Publikum auf originelle Weise auf den Abend ein. Wer aber wegen des Titels politische Satire erwartet hatte, wurde enttäuscht. Die Macher selbst verstehen ihr Werk ausdrücklich als "unpolitisch" und "surreal". Irritierend wirkte daher, dass gerade mit der Thematisierung von "Arbeitslosigkeit" immer wieder auf ein aktuelles, und ganz und gar reales gesellschaftliches Problem zurückgegriffen wurde.
Alle Figuren in "Deutschland. Einig. Badeland" sind aber letztlich doch Gefangene ihrer eigenen, ganz persönlichen Realität. Nur ab und zu gelingt es ihnen, sich über ein am Zaun der Badeanstalt angebrachtes Mikrofon der Welt mitzuteilen.
Ansonsten sitzt der Bademeister auf seinem Turm, blickt mürrisch auf sein beinahe unbevölkertes Reich und philosophiert: über die Badekultur, über Hygiene und Ordnung. Zu seinen Füßen - in ergebener Aufmerksamkeit - hockt sein Praktikant, der nach elf Semestern Sozialpädagogik lieber diesen Job macht als gar keinen. So ähnlich sieht das auch der Kiosk-Besitzer, der allerdings aufgrund fehlender Kundschaft fürchtet, seinen Laden bald dichtmachen zu müssen. Er ärgert sich maßlos über die Ignoranz seiner Schwimmbad-Kollegen und wähnt sich umgeben von Verrückten.
Mit dieser Ansicht steht er nicht alleine: Sämtliche Protagonisten fühlen sich von den Macken der jeweils anderen belästigt: der Bademeister von der "Dünnbrettbohrerei" des Kioskverkäufers, dem der Sinn für die höheren philosophischen Zusammenhänge abgeht, der Praktikant von der einsamen Ruppigkeit seines Chefs. Zwei Arbeitslose, die ihre Männerfreundschaft bei Gesprächen am Rheinufer pflegen, kommen sich auch nicht wirklich näher: Den einen nerven die Fantasie-Exkursionen seines Kumpels ans südchinesische Meer. Er selbst steigert sich dagegen regelmäßig in einen Verzweiflungsanfall über die Auswegslosigkeit seiner Situation hinein. Das findet der Freund wiederum unerträglich. Außerdem ist da noch Cordula, die ohnehin nur zu ihrem Hund Anastasia ein engeres Verhältnis pflegt. Auch der Clown aus Heinrich Bölls Buch findet sich plötzlich in der realen Welt wieder. Mit ihrer Bevölkerung kommt er allerdings ebenfalls nicht klar.
Steffen Schmidt hat das Figuren-Ensemble von "Deutschland. Einig. Badeland" aus drei einzelnen Stücken Jakobs´ zusammengestellt. Durch die Verknüpfung entwickelt sich allerdings nichts, was nicht schon von Anfang an überdeutlich in den Figuren angelegt wäre. Insgesamt wirken die Charaktere überzeichnet: Es braucht nicht den brutalen nächtlichen Überfall des Bademeisters und seines Gehilfen auf den vagabundierenden Clown, um die beiden als Stammtisch-Nazis mit dem "rechten" Sinn für Ordnung und Sauberkeit zu outen. Der "Deutschland"-Schriftzug auf dem Rücken des Bademeisters und der "Gestapo"-Mantel des Praktikanten hätten hier schon mehr als genügt. Und wenn Cordula als "Frau, die Männern Eskalationen abverlangt", in der Darstellung von Suna Börsch schon daher kommt wie eine Elfjährige unter dem Einfluss von drei Flaschen Alkopops, hätte man ihr nicht noch unbedingt das entsprechende Grundschulmädchen - Outfit verpassen müssen. Der mit dem wirtschaftlichen Durchwuseln beschäftigte Kioskverkäufer wirkt als unbedarfter "Durchschnittsossi" ebenfalls überzeichnet, wobei Michael Klemm in dieser Rolle durchaus großes komödiantisches Talent bewies.
Ohne Überinterpretationen hätten die Figuren durchaus für sich selbst sprechen können. Das wurde vor allem in den Dialogen zwischen den Männerfreunden Höhnermann und Kopp deutlich. Diese Charaktere kamen in ihrer Ausstattung nicht so überzeichnet daher.
Trotz kleinerer Schwächen der Inszenierung zeigte sich das Premieren-Publikum insgesamt aber sehr angetan und spendete begeisterten Applaus.
 
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