Text von Mittwoch, 11. Mai 2005
Skrupellos: Montagswitze am Dienstag | ||
Marburg * (yvg)
Ein ungeduldiges, aber ihm durchaus wohl gesonnenes Publikum erwartete Harry Rowohlt am Dienstag (10. Mai) im proppenvollen Kulturladen KFZ. Der bekannte Übersetzer und Rezitator trat unter dem Motto "Harry Rowohlt liest und erzählt" auf die Bühne. Knapp vier Stunden lang unterhielt er die Zuhörer mit witzigen, wenn auch oftmals bösen Anekdoten. Unterstützt wurde die Veranstaltung vom Verein "Strömungen", von der Buchhandlung "Roter Stern" und natürlich vom KFZ. Whiskey, Wein und Wasser: Der Lesetisch des "Ambassador of Irish Whiskey" musste einiges aushalten. Wie Rowohlt zur Ehre dieses Titels gekommen war, konnte er sich selbst nicht erklären. Fest stand jedenfalls, dass der Mann mit der rauchigen Stimme an diesem Abend auf "biologisch kontrollierten Äbblwoi" umsteigen würde. Schließlich wollte er bei den nächsten Lesungen nicht verkatert auftreten. Er trank den ersten Schluck und verzog säuerlich die Mundwinkel: "Das wird ein gesunder Tach heute..." Er steckte sich eine Zigarette an und begann seine traditionelle "Anschleimphase", indem er ausführlich seiner Abneigung gegen die Schwaben Luft machte. Fairerweise fügte er jedoch hinzu, dass er diese vor drei Jahren überwinden konnte. Man kann also davon ausgehen, dass sich sein "Skrotum" im Beisein eines Schwaben nun entspannen kann. "John Rock oder der Teufel" ist der Titel des eigens geschriebenen "Wildwest-Schundromans", den er als erstes zum Besten gab. Obwohl Rowohlt ihn komplett vortrug, hatte man als Zuschauer Schwierigkeiten, herauszufinden, worum es inhaltlich eigentlich ging. Das war jedoch nicht schlimm und hatte im Übrigen nichts mit literarischer Unfähigkeit zu tun. Es lag vielmehr daran, dass Rowohlt sich nach beinahe jedem Satz selbst unterbrach, weil ihm gerade irgendeine erzählenswerte Anekdote eingefallen war. "Sind Sie nicht der Penner aus der Lindenstraße?" ist übrigens eine Frage, die man Harry Rowohlt besser nicht stellen sollte. Viel lieber hört er: "Sind Sie nicht der Johann-Heinrich-Voß-Preisträger für deutsche Übersetzungen Erfurt 1999?" Unter einem Überschuss an Bescheidenheit leidet der Mann mit dem bösartigen Humor ohnehin nicht: Wenn er übersetzt, "ist dann sowieso wurscht, wie das Original war!" Nach der Pause trug Rowohlt vier seiner "lieblingsausländerfeindlichen" Witze vor. Im Vergleich waren diese jedoch harmlos: Schließlich wird "meine Ausländerfeindlichkeit gaaanz leicht von meiner Inländerfeindlichkeit eingeholt". Und da er früher schon von der Presse gerüffelt worden war, weil er eine Weihnachtsgeschichte im Frühjahr erzählt hatte, gab er jetzt demonstrativ einen Montagswitz zum Besten. Es war Dienstag. Rowohlt, der schon früh an diesem Abend bewiesen hatte, dass er in allen Dialekten zu Hause ist, stellte zu guter letzt auch sein Gesangstalent zur Schau. Er sang - im Original und übersetzt - die amerikanische B-Hymne und beide Hamburger Hymnen. Letzteres tat er mit einer Begeisterung, mit der er sich der am Revers steckenden goldenen Ehrennadel des FC St. Pauli für würdig erwies. Für würdig erwiesen hat sich auch der Marburger "Testmarkt". Das Publikum wollte den Mann mit dem Rauschebart selbst nach vier Stunden nicht ohne eine weitere Zugabe gehen lassen. Bleibt also nur noch zu hoffen, dass Rowohlt mit seinem Abschlusssatz Recht behält: "Was in Marburg ankommt, kann man getrost überall bringen!" | ||
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