Text von Freitag, 9. July 2004
Jüdische Corporierte: Schand, Ehre und Trinkfestigkeit | ||
Marburg * (tal)
" Und schuldig sind wir unserem Volk, dass wir ihm Männer schaffen. Dass wir dies tun, gibt uns unsere Existenzberechtigung." Mit diesem Zitat aus einem Feldrundschreiben an die Bundesbrüder aus der zionistischen Studentenverbindung (JSt) "Hasmonaea" vom Jahr 1917 leitete Miriam Rürup ihren Vortrag "auf Kneipe und Fechtboden" am Donnerstag (8. Juli) ein. Der Vortrag im Hörsaalgebäude der Philipps-Universität behandelte vor gut 20 Zuhörern die Motive für die Bildung jüdischer Studentenverbindungen. Die Berliner Historikerin betonte immer wieder das Dilemma jüdischer Corporierter.Gegen antisemitische Anfeindungen mussten sie ihren Glauben und ihre "jüdische Ehre" verteidigen. Andererseits wollten sie das traditionelle Brauchtum deutscher Corps beibehalten. Auch teilten sie deren national-konservativ geprägte Grundhaltung. Zu den ersten jüdischen Corporationen zählte die 1886 in Breslau gegründete "Viadrina". Ursprünglich sollte sie nur solange bestehen, wie es den Antisemitismus gebe. Sechs Jahre zuvor waren erstmals jüdische Studenten aus deutschen Verbindungen ausgeschlossen worden. Sie besäßen - so hieß es - keine Männlichkeit, keine Ehre und keine weiteren, dem deutschen Manne angeborenen Tugenden. Ein weiteres "Manko" des jüdischen Mannes sei seine angeblich nicht vorhandene Trinkfestigkeit. Zahlreiche Veröffentlichungen in - von den Studenten herausgegebenen - Blättern weisen auf die hohe Bedeutung und die rein verbindungs-traditionellen Rituale der sogenannten Kommerse hin. Waren die beiden größten Gruppen der jüdischen Corporierten bemüht, diesen "Schandfleck" der nicht vorhandenen Körperlichkeit, Ehre und der Mannhaftigkeit durch die Ausrichtung von Fechtkämpfen und Trinkfesten auszumerzen, so unterschieden sich die zionistische und DAS "Kartell Convent deutscher Studenten jüdischen Glaubens" (KC), die assimilierte jüdische Studentenverbindung, in einem Punkt deutlich voneinander: Die zionistischen Verbindungen erhoben zwar den Anspruch auf Integration im Deutschen Reich und somit in ihrem Heimatland, verloren jedoch nie das Ziel aus den Augen, einen eigenen jüdischen Staat zu gründen. In die "innere Erziehung" wurde auch Palästinakunde aufgenommen. 1913 und 1914 unternahmen die zionistischen Corps Fahrten nach Palästina, die jedoch aufgrund des Beginns des Ersten Weltkrieges zunächst nicht wiederholt werden konnten. Die hebräische Sprache wurde für Fecht- und Turnkommandos beibehalten. Die Assimilierten lehnten das aber ab, da Hebräisch als undeutsch und daher als verweichlicht galt. Über die rein verbindungs-traditionellen Rituale hinaus entwickelte sich eine unverkennbar jüdisch-nationale Festkultur, die sich allerdings an den traditionellen Trinksitten orientierte. Im Dezember 1883 wurde erstmals anstelle des Chanukka-Festes, das bei den Juden in etwa den Stellenwert wie das Weihnachtsfest bei den Christen einnimmt, die Makkabäerfeier organisiert. Das religiöse Fest wurde somit durch ein nationales Fest abgelöst. Es wurde nun alljährlich von allen nationaljüdischen Vereinen und Verbindungen als höchstes zionistisches Fest gefeiert. In einem Lied, das von allen jüdischen verbindungen gleichermaßen gesungen wurde, hieß es: "Was unser Schandfleck ward, ward unsere Ehre". Hiermit wurde nicht nur auf die zu erreichenden oder bereits vorhandenen Tugenden angesprochen; gemeint waren damit auch die Farben der jüdischen Verbindungsstudenten Blau und gelb. Blau symbolisiert dabei die Farbe Israels, Gelb steht für die positive Deutung des sogenannten Schandflecks. Das Gros der jüdischen Studierenden war jedoch nicht in Verbindungen organisiert. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass sich aus dieser Gruppe 60 % und 90 % aus allen jüdischen studentischen Vereinigungen als Freikorbs zum Ersten Weltkrieg meldeten. Trotz aller Integrations- und Anpassungsbemühungen war es für die jüdischen Studierenden sehr schwierig, bei den christlichen Kommilitonen akzeptiert und anerkannt zu werden. Dies begründete sich unter anderem dadurch, dass viele Juden erst Ende des 19. Jahrhunderts zugewandert waren und daher zu Beginn des 20. Jahrhunderts größtenteils erst in der zweiten Generation in Deutschland lebten. Die jüdischen Studenten bekamen nach inkrafttreten des Grundgesetzes 1949 die Möglichkeit, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen. Dies wurde jedoch von den meisten aufgrund der erlittenen Qualen während des Zweiten Weltkrieges abgelehnt. Die letzte jüdische Studentenverbindung löste sich 1953 schließlich auf. | ||
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