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Text von Samstag, 19. Juni 2004

> b i l d u n g<
  
 Konfliktdiagnose: Vorurteile, Feindbilder, Folter 
 Marburg * (vic)
45 % der US-Bürger halten Folter für ein legitimes und angemessenes Mittel im sogenannten "Anti-Terror-Kampf", bemerkte Prof. Gert Sommer. Der vorsitzende des "Forums Friedenspsychologie" eröffnete am Freitag (18. Juni) die 17. Tagung "Friedenspsychologie". Bis Sonntag (20. Juni) wird die Konferenz unter dem Titel "Konflikte zwischen Gruppen und Perspektiven für nachhaltige Lösungen" andauern. Durchgeführt wird sie im psychologischen Institut vom "Forum Friedenspsychologie" und dem "Zentrum für Konfliktforschung" der Philipps-Universität.
Im Mittelpunkt der Eröffnungsveranstaltung standen die Folterungen im Irak und der Nahost-Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern. In seiner Einführungsrede bezeichnete Sommer die amerikanischen Folterungen von Gefangenen im Irak als Unrecht und kritisierte sie Scharf. Das nach internationalem Recht bestehende Folterverbot werde von den Amerikanern bewusst mißachtet.
So seien im Irak mindestens 10.000 gefangene in Lagern und Gefängnissen interniert. Dort seien sie häufig der Folter durch Erniedrigungen und sexuelle Gewalt ausgesetzt, erläuterte Sommer.
Gleichzeitig wies er aber auch darauf hin, dass Folterungen auf vielfältige psychologische Ursachen zurückzuführen seien. Es sei eben nicht damit getan, die Folterungen als Einzeltaten einiger weniger Perwerser abzutun.
Eine mögliche Ursache sei die Militärhirarchie mit ihrer Struktur von Befehl und Gehorsam. Eine weitere sei die Ausnutzung der großen Macht der Soldaten gegenüber den Gefangenen, die durch die Folterungen ausgelebt werde. Ferner schlage die Angst der Soldaten um
das eigene Überleben häufig in Gewalt gegen schwächere um.
Das alles könne die schrecklichen Folterungen aber nicht rechtfertigen. Die verantwortlichen Minister und Geheimdienst-Mitarbeiter müssten zur Rechenschaft gezogen werden, meinte Sommer abschließend.
Danach referierte der in Tel Aviv lehrende israelische Proffessor Daniel Bar-Tal über den Nahost-Konflikt und seine psychologischen Aspekte. Der Friedensprozess zwischen Israelis und Palästinensern habe 1993 sehr hoffnungsvoll begonnen. In beiden Bevölkerungsgruppen sei die Zustimmung zum Friedensprozess mit jeweils 70 % außerordentlich hoch gewesen.
Doch nach dem Scheitern der Verhandlungen in Camp David im Juli 2000 habe sich die Atmosphäre verändert. Die israelische Regierung habe einseitig die Palästinenser für das Scheitern des Gipfels verantwortlich gemacht. Israel habe alles für eine Lösung getan, hieß es, aber die Palästinenser hätten sich verweigert. Diese Sichtweise von "gut" und "böse" sei nahtlos von der israelischen Öffentlichkeit übernommen worden, berichtete Bar-Tal.
Im September 2000 habe sich die Lage weiter verschärft. Nach dem Besuch des heutigen israelischen Ministerpräsidenten Ariel Sharon auf dem Tempelberg sei die zweite palästinensische Intifada ausgebrochen.
So hätten die Palästinenser in der israelischen Öffentlichkeit mehr und mehr als "friedensunwillige Terroristen" gegolten. Das Leid der Palästinenser sei dagegen in der israelischen Öffentlichkeit nicht gewürdigt, sondern psychologisch verdrängt worden, meinte der Referent.
Bar-Tal betonte aber, dass bei den Palästinensern die gleichen psychologischen Verhaltensweisen zu beobachten seien wie bei den Israelis. Das Ergebnis sei gegenseitiges Misstrauen sowie Vorurteile und Vorbehalte gegenüber der jeweils anderen Bevölkerungsgruppe.
Die einzige möglichkeit, zu einer Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts zu gelangen, sieht Bar-Tal in der Schaffung von zwei Staaten. Nur zwei Staaten, die sich gegenseitig anerkennen und respektieren, könnten eine friedliche Koexistenz der beiden Völker gewährleisten.
Als ersten wichtigen Schritt bezeichnete der israelische Wissenschaftler die Wideraufnahme von Friedensverhandlungen, um den Friedensprozess wieder in Gang zu bringen.
Dazu äußerte sich Bar-Tal aber ziemlich pessimistisch. Der Bau des Trennungszauns auf Veranlassung der israelischen Regierung kennzeichne die derzeit schwierige Lage. Auch gebe es kaum Kontakte zwischen beiden Bevölkerungsgruppen, was die Suche nach einer friedlichen Lösung erheblich erschwere.
 
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