Text von Freitag, 9. July 2004
Streng sparen: Schuldner- und Insolvenzberatung | ||
Marburg * (vic)
Ein mulmiges Gefühl beschleicht mich, als ich am Mitwoch (7. Juli) die Schuldnerberatungsstelle der Caritas im Marburger Südviertel betrete. Doch unwillkürlich kehrt auch die Erleichterung wieder zurück, denn gottseidank habe ich keine Schulden! Immer mehr Menschen verschulden sich immer höher. Die Zahl der Verbraucherinsolvenzen lag im Jahr 2003 bei 50.000. Sie steigt sprunghaft an. Mit dem neuen Insolvenzrecht ist vor drei Jahren auch für Privatleute eine Verbraucherinsolvenz erleichtert worden. Die Verfahrenskosten von etwa 3.000 Euro können nun gestundet werden. Früher musste das Geld sofort bezahlt werden, wenn man einen Antrag auf Insolvenz stellte. Über die Arbeit der Schuldnerberatung möchte ich mich an diesem Nachmittag an Ort und Stelle informieren. Dabei will ich in Erfahrung bringen, welche Auswirkungen die Streichung ihrer Fördergelder hat und wie sich die Kürzungen im Sozialbereich auf die Verschuldeten auswirken. Bis zum Jahr 2003 wurde die Insolventsberatung der Karitas Marburg vom Land Hessen mit jährlich 48.000 Euro gefördert. Die übrigen 36.000 Euro jährlich hat der Karitasverband selbst getragen. Doch im Zuge der Kürzungen im Sozialbereich durch die Hessische Landesregierung unter dem Etikett "Operation sichere Zukunft" wurden die Fördergelder ab dem Jahr 2004 komplett gestrichen. Diese Mittelkürzungen bringen Bernd Krämer auf die Palme: "Das ist ein riesengroßer Skandal, dass die Landesregierung uns die ganzen Mittel zusammenstreicht." Diese Streichung schränke die Arbeitsmöglichkeiten der Insolvenzberatung ganz erheblich ein. Seit 1998 ist die Caritas als Insolvenz- und Schuldnerberatungsstelle vom Regierungspräsidium Gießen anerkannt. Drei Mitarbeiter - darunter auch Geschäftsführer Krämer - führen die Beratung durch. Die "Laufkundschaft" beläuft sich auf etwa 900 Personen jährlich. Rund 300 weitere Fälle werden jedes Jahr intensiv über einen längeren Zeitraum hinweg betreut. Die Kundenzahlen hätten sich in den letzten Jahren rapide erhöht, berichtet Krämer. Er sitzt an seinem Schreibtisch vor einem Computer. Lebhaft und detailliert beschreibt er seine tägliche Arbeit. Bei einem Beratungsgespräch wird zunächst die Lage des Ratsuchenden analysiert. Danach wird geprüft, ob er an den Ursachen der Verschuldung etwas ändern kann. Abschließend werden die Chancen einer Entschuldung und weitere Maßnahmen besprochen. Im ersten Schritt wird sichergestellt, dass die Miete pünktlich bezahlt wird, damit der Schuldner nicht auf der Straße landet. Danach überprüft man, ob er Ansprüche auf Wongeld oder andere Leistungen hat, die er bisher nicht wahrgenommen hat. Hiernach wird eine Haushaltsanalyse vorgenommen. Alle Ausgaben werden dabei auf ihre Notwendigkeit überprüft. Häufig hätten Kunden teure und unnütze Versicherungen abgeschlossen, erläutert der Insolvenzberater. Raucher bittet er auch, das Rauchen einzuschränken oder einzustellen. Am Ende wird ein neuer Haushaltsplan erstellt. Manchmal reichen derartige "Umschichtungen" schon zur Entschuldung. Doch die "Agenda 2010" erschwert die Situation der Schuldner nach Krämers Einschätzung. Für Sozial schwache steige damit die Gefahr einer Verschuldung akut an. Sie hätten dann noch mehr Probleme, aus der "Schuldenfalle" wieder herauszukommen. Vor allem ältere Langzeitarbeitslose bekommen künftig weniger Geld als bisher. Die Arbeitslosenhilfe wird durch ihre Zusammenlegung mit der Sozialhilfe auf nur noch 345 Euro gekürzt. 3,5 Millionen Privathaushalte sind in Deutschland überschuldet. Von dieser Problematik sind alle gesellschaftlichen Schichten betroffen. Den größten Anteil bilden dabei aber die gering Verdienenden. Häufig verschulden sich gerade sie durch risikoreiche Kredite. Arbeitslose und Empfänger von Sozialhilfe bilden einen weiteren Schwerpunkt. Auch betroffene von Drogen- und Spielsucht haben meist eine beachtliche Schuldnerkarriere aufzuweisen. Suchtcharakter haben manche auch beim SMS-Schreiben: Immer öfter verschulden sich Jugendliche durch Handy-Kosten wegen ihrer exzessiven SMS-Korrespondenz! Auch die Zahl der zahlungsunfähigen Selbständigen wird sich weiter erhöhen, prophezeit Krämer. "Da sehe ich schon die ganzen Ich-Ags auf uns zukommen, die nicht überleben werden ." Die Spanne der Verschuldung liegt zwischen 5.000 und 1,5 Millionen Euro. Im Schnitt bewegt sie sich etwa zwischen 20.000 und 30.000 Euro. "Kann man aus einer solch hohen Verschuldung jemals wieder herauskommen?", frage ich. Sicherlich sei das schwierig, meint Krämer, aber es sei durchaus möglich. Bei hoher Verschuldung kommt für Privatleute eine Verbraucherinsolvenz in Frage, während bei verhältnismäßig niedrigeren Schulden andere Möglichkeiten ins Auge gefasst werden müssen. Für eine Entschuldung gebe es vielfältige Möglichkeiten, erklärt Krämer. So gebe es Fälle, in denen Verwandte zusammenlegen, um für jemanden die Schulden zu begleichen. Manchmal komme es bei sehr alten und kranken Menschen auch vor, dass Gläubiger auf ihr Geld verzichten. Zunächst wird bei Zahlungsunfähigkeit ein außergerichtlicher Einigungsversuch unternommen. Stimmen die Gläubiger dem Insolventsplan nicht zu, muss die Eröffnung eines gerichtlichen Insolventsverfahrens beantragt werden. Erst wenn ein weiterer Insolvenzplan von den Gläubigern abgelehnt wird, wird das eigentliche Verfahren eröffnet. Der Schuldner bekommt dann einen Insolventsverwalter zur Seite gestellt. Dieser "Aufpasser" kümmert sich darum, das die Gläubiger ihr Geld bekommen. Ohne den Verwalter kann der Schuldner nicht mehr über sein Geld verfügen. Nach einer sechsjährigen Vertrauensphase ist das Verfahren erledigt, wenn der Schuldner bezahlt wie vorgesehen. Erledigt wäre angesichts der staatlichen Streichungen beinahe auch die Schuldnerberatung selbst, denke ich. An dieser Stelle sollte man nicht sparen! Als ich nach eineinhalb Stunden das Haus verlasse, kommt mir wieder der erleichternde Gedanke "gottseidank habe ich keine Schulden!" | ||
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