Text von Donnerstag, 24. Juni 2004
10 Jahre Artikel 3: Schluss mit Diskriminierung | ||
Marburg * (fjh/pm)
Vor 10 Jahren beschloss der Bundestag, das Grundgesetz um das Verbot der Benachteiligung behinderter Menschen zu erweitern. Mit der überwältigenden Mehrheit von 622 Ja-Stimmen gegenüber drei Nein- Stimmen und vier Enthaltungen wurde am 30. Juni 1994 im Reichstag in Berlin die Aufnahme des Satzes: "Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden" in das Grundgesetz beschlossen. "Das war ein großartiger Erfolg für behinderte Menschen, ihre Angehörigen und die Verbände, die mit großer Hartnäckigkeit für diesen Zusatz im Grundgesetz gekämpft hatten", meinte Robert Antretter am Donnersstag (24. Juni). Antretter ist Bundesvorsitzender der Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung mit Sitz in Marburg. Nach der Zustimmung des Bundesrats am 23. September 1994 trat die geänderte Verfassung am 15. November 1994 in Kraft. Damals führte das sogenannte "Flensburger Urteil" den Menschen überzeugend vor Augen: Ein Benachteiligungsverbot tut dringend Not, damit sich nicht zuletzt etwas im Bewusstsein der Menschen ändert und sich ein solches Urteil nicht mehr wiederholt! Das Amtsgericht Flensburg hatte im Jahr 1992 einem Ehepaar einen Schadensersatzanspruch wegen "entgangener Urlaubsfreude" zugesprochen, weil es vom Reiseveranstalter in einem Hotel untergebracht worden war, in dem auch geistig behinderte Menschen ihren Urlaub verlebten. Der Richter hatte dazu festgestellt: "Der unausweichliche Anblick der Behinderten auf engem Raum bei jeder Mahlzeit verursache Ekel" und sei dem Ehepaar deshalb nicht zuzumuten. Vor allem der Deutsche Bundestag wurde durch die Ergänzung des Gleichheitssatzes wachgerüttelt und hat inzwischen Gesetze in Kraft gesetzt, die die sozialen Rechte behinderter Menschen stärken. Zu nennen sind beispielsweise das Recht auf Barrierefreiheit und auf gesellschaftliche Teilhabe und Selbstbestimmung, festgeschrieben im Sozialgesetzbuch 9. Nicht zufriedenstellend ist aber weiterhin die Situation im Rechtsverkehr für behinderte Menschen. Die Bundesvereinigung Lebenshilfe drängt deshalb seit langem auf ein Zivilrechtliches Antidiskriminierungsgesetz (ZAG), das auch den Anliegen speziell geistig behinderter Menschen gerecht wird. Erst mit einem ZAG wäre es einem Behinderten beispielsweise möglich, gegen einen Rauswurf aus einer Gaststätte, die Ablehnung als Vereinsmitglied oder gegen die Benachteiligungen beim Abschluss von Versicherungsverträgen vor Gericht zu klagen. Es ist an der Zeit, dass die Bundesregierung noch in diesem Jahr ein ZAG in diesem Sinne verabschiedet. | ||
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