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Text von Donnerstag, 16. Dezember 2004

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 Frieden im Kongo: Wem was wichtiger ist 
 Marburg * (atn)
Über die zahlreichen Kriege und Konflikte in der Demokratischen Republik Kongo (DR Kongo) referierte Wolfgang Schreiber am Mittwoch (15. Dezember) im Hörsaalgebäude. Sein informativer Vortrag in der Reihe "Zwischen Vernunft und Barbarei" trug den Titel "DR Kongo: Krieg um Rohstoffe - Krieg zwischen Ethnien?".
Der Diplom-Mathematiker ist als Doktorand am Institut für Politische Wissenschaft der Universität Hamburg beschäftigt. Er ist dort Koordinator der "Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung" (AKUF). Sie beobachtet und analysiert das weltweite Kriegsgeschehen seit 1945 und versucht, es zu erklären.
Die zahlreichen Kriege, die sich seit 1993/94 in der DR Kongo - bis Mai 1997 noch Zaire - abgespielt haben, werden - etwas überspitzt - als "Afrikas erster Weltkrieg" bezeichnet. Etliche afrikanische Staaten waren und sind in die Konflikte verwickelt. Uganda, Ruanda und Burundi sind Gegner im Osten. Moçambique, Angola, Namibia und zeitweise der Tschad und der Sudan traten an der Seite der DR Kongo in den Krieg ein.
Die Revolution, die zum Sturz des Diktators Mobutu Sese-Seko führte, begann als Aufstand der Banyamulenge-Tutsi, die sich im Osten des Landes gegen die drohende gewaltsame Vertreibung durch Hutu-Milizen zur Wehr setzten. Diese waren für die Massaker an Tutsi 1994 in Ruanda verantwortlich. Der Massenerhebung der Tutsi-Minderheit schlossen sich auch Kämpfer anderer unzufriedener Volksgruppen an, vor allem aus den Bergbaugebieten um Lubumbashi und der Urwaldregion um Kisangani im Osten des Landes.
Die "Allianz Demokratischer Kräfte zur Befreiung von Kongo-Zaire" (AFDL) brachte das Land unter ihre Kontrolle. Am 21. Mai 1997 erklärte sich der Anführer der Rebellengruppen, Laurent-Desiré Kabila, zum Präsidenten der von ihm proklamierten Demokratischen Republik Kongo.
Auch unter der neuen Regierung kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen und Kriegen. Sechs hauptsächliche Gründe führte Schreiber dazu auf: Interne Spaltungen, die zu Machtrivalitäten führen, eine Regierung in Kinshasa, die eine andere Position als Kabila vertritt und den seit 1997 wiederaufflammenden Krieg in Ruanda. Außerdem haben Staaten wie Ruanda, Uganda und Angola Interesse an der Grenzsicherung, da die DR Kongo Unterschlupf für zahlreiche Rebellengruppen bietet. Zudem heizen Regionalmachtansprüche und - nicht zuletzt - auch wirtschaftliche Interessen die Konflikte weiter an.
Schreiber betonte, dass es bei einem Krieg nicht eine eindeutige kleine Anzahl von Gewinnern gebe, denen eine breite leittragende Masse gegenüberstehe. Wäre es so, seien Konflikte einfach zu lösen.
Um diese Aussage zu veranschaulichen, beleuchtete der Wissenschaftler die durch den Krieg entstandenen Veränderungen in der sozialen Ordnung in den östlichen Provinzen Kivu und Ituri. Dort haben die Rebellen Stellen in der Verwaltung neu besetzt. Die traditionellen regionalen Herrscher gerieten so zwischen die Fronten. Es taten sich soziale Aufstiegschancen für junge Männer auf, die Milizen gründeten und eventuell deren Anführer wurden.
Im ökonomischen Bereich versucht die Besatzungsmacht, Handelsketten zu monopolisieren. Betreiber von Geschäften stehen dann vor der Wahl, zu kooperieren oder ihr Geschäft aufzugeben.
Als besonders wichtig hob Schreiber den Zusammenbruch des patrimonialen Systems hervor, was die Bindungen innerhalb der Bevölkerung verändert hat. In der DR Kongo gibt es zwölf ethnische Hauptgruppen und rund 240 kleinere Gruppen. Ethnische Bindungen spielen eine große Rolle.
Die Gefolgschaft dieser Gruppen sichern sich die Herrscher im Klientel-System über die Verteilung der Ressourcen. Wenn man aus Ressourcenmangel nicht mehr Alle bedienen kann, dann muss man entscheiden, wer wichtig ist. Diese Beschränkung auf bestimmte ethnische Gruppen und die Ausgrenzung anderer verstärkt die ethnischen Bindungen. Hinzu kommt, dass in der DR Kongo die informelle Wirtschaft blüht. Sie setzt Vertrauen voraus, was hauptsächlich innerhalb der ethnischen Gruppen vorhanden ist. Im Kriegsfall - sagte Schreiber - erfolgt die Zuteilung von Ressourcen indes durch Gewalt.
Im Abkommen von Lusaka 1999 wurde ein Waffenstillstand zwischen den Akteuren ausgehandelt. Eine Friedenstruppe der Vereinten Nationen (UN) soll die "negativen Kräfte" - hauptsächlich Rebellen aus Ruanda und Burundi - entwaffnen. Es soll Staatsbürgerschaftsrechte für alle Ethnien im kongolesischen Gebiet geben und einen nationalen Dialog zwischen der Regierung, den Rebellen und der Opposition.
Schreiber nannte als Friedenshindernisse die anhaltenden Machtkämpfe innerhalb der Übergangsregierung, die in den Dialog nicht eingebundenen bewaffneten kongolesischen Gruppen und die andauernde Anwesenheit nicht-kongolesischer bewaffneter Gruppen aus Ruanda und Burundi.
Irgendwann solle es eine Demokratie in der DR Kongo geben. Doch auch das birgt Gefahr, denn es ist nicht sicher, dass die politischen Verlierer ihre Niederlage akzeptieren werden.
Es gelang Schreiber, die beinahe unüberschaubaren Verzweigungen und Verbindungen in den kongolesischen Konflikten transparenter zu machen. Deutlich wurde auch, dass es unheimlich schwierig ist, die Situation vollkommen zu durchschauen und erst recht, einen Ansatzpunkt für einen dauerhaften Frieden zu finden.
 
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