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Text von Dienstag, 23. November 2004 | > k u l t u r< | ||||
Mein Judentum: Religion, Rasse, Staat, Kultur? | ||
Marburg * (atn)
Was einen Juden und das Judentum ausmacht, war Thema des philoSOPHIA-Abends am Montag (22. November) im Philippshaus. Die Evangelische Gemeinde und das Zentrum für christlich-jüdische Zusammenarbeit haben Altbischof Prof. Dr. Christian Zippert für dieses Thema gewinnen können. Er las aus dem von Jürgen Schultz herausgegeben Buch "Mein Judentum". Trotz seiner 26 Jahre ist es immer noch aktuell und lesenswert. Sein Problem, sagte Zippert eingangs, sei die Auswahl zweier der zahlreichen Texte gewesen. Namenhafte Philosophen und Autoren wie Jurek Becker, Yehuda Amichai, Jean Am‚ry, Hilde Domin und viele weitere stellen in dem Werk ihre Sicht auf das Jüdische dar. Die Lesung begann mit Jeanne Hersch. Die Schweizerin verbrachte die 90 Jahre ihres Lebens bis zum Jahr 2000 in Genf, wo sie auch Philosophie studierte und 1962 Professorin wurde. In ihrem Beitrag für "Mein Judentum" versucht sie, das "Jude-Sein" zu definieren. Sie durchleuchtet, was einen Juden ausmacht. Dabei distanziert sie sich von der Vorstellung der privilegierten jüdischen Beziehung zu Gott. In ihrem Leben entschied sie sich nach ihrem Lehrmeister Karl Jaspers für das "einfache Jude sein". Was ist ein Jude? Dieser Ausgangsfrage geht sie in ihrem Text systematisch auf den Grund. Die Religion. Man ist unwiderruflich Jude, ob konvertiert oder nicht. Jude sein entscheidet sich jedoch nicht über die Gene, Jude sein ist eine freie Entscheidung der Seele. Der Staat. Stellte die Diaspora das Judentum nicht viel mehr dar, als es der jetzige Staat Israel tut? Und was ist dann ein Jude ohne den Staat Israel? Die Rasse. Sie ist ein Zwang ohne Wahl. Teilt man Menschen in Rassen, dann geht man davon aus, das diese sich eben nicht über die Seele, sondern die Gene bestimmt. So etwas Determiniertes lässt keinen Platz für Treue oder Verrat. Egal was man tut, man ist eben schon Jude. Sind Juden Rassisten, wenn sie sich als solche, als Rasse, bezeichnen? Ist das nicht unmenschlich und unjüdisch? Die Kultur. Jude sein bedeutet, mit heroischer Anstrengung für Freiheit und Gerechtigkeit zu kämpfen. Jeanne Hersch kommt zu dem Ergebnis, dass der Ausspruch "ich bin Jude" in der Schwebe bleiben muss, nicht festgenagelt werden darf. Sowie auch der Ausspruch "ich bin Mensch" nicht ganz eindeutig, zerbrechlich ist. Man ist nicht einfach einer Tiergattung zugehörig. Mit dem Ausspruch "ich bin Mensch" entscheidet man sich, dem Irdischen leidenschaftlich zu gehören. Und doch nicht ganz. Es ist ein ewiges "auf-der-Schwelle-Leben." Zippert wählte diesen Text, um zu zeigen, wie tief verwurzelt Juden in der westlichen Gesellschaft sind. Dabei will und kann das liberale Judentum in seiner Position jedoch nicht festgelegt werden. Die nächste Wahl viel auf Schalom Ben-Chorin, den 1913 in München geborenen Schriftsteller, Journalisten, aber auch Philosophen und Theologen. Er lebt seit 1939 in Jerusalem. Sein Beitrag beschäftigt sich mit der Frage wie wir werden, wer wir sind. Das Judentum ist für ihn eine mit der Geburt mitgegebene Aufgabe. Von der Mutter kommt die Volkszugehörigkeit, vom Vater die geistige Existenz. Doch Jude-sein ist nicht nur vorgegeben, sondern auch aufgegeben. Geborene und gewordene Juden müssen die Möglichkeiten entfalten, die sie haben. Darin liege der Sinn des Lebens, besonders der des jüdischen. Das heutige Judentum bestehe aus vielen Juden, die nicht mehr zu fragen verstehen. Das Lernen des Systems absorbiere viele seelische und geistige Kräfte, doch sei der fragende Glaube der einzige Weg zum Dialog. Und jüdisches Denken sei dialogisches Denken. Ben-Chorin zitiert dazu: "Nichts ist, als ich und du. Wenn nur zwei nicht mehr sein, dann fällt der Himmel ein". Der Abends sollte Appetit auf das Buch machen, auf die Auseinandersetzung mit dem Judentum, die auch Christen wieder näher zu ihren Glauben führen kann. Altbischof Zippert las mit ruhiger melodischer Stimme und es entstand in dem kleinen Gemeinderaum eine nachdenkliche Atmosphäre, in der jeder genug Raum fand, in sich selbst nach Antworten auf die Frage des Abends zu suchen. | ||
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