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Text von Mittwoch, 30. Januar 2002


Kosmo-politisch: Diskussion über "Leitkultur"

Marburg * (FJH)
"Ich bin Deutscher und damit kein Franzose", sagt Dr. Joachim Kahl. "Auch wenn das heute von vielen für politisch inkorrekt gehalten wird, schließt die Zuordnung zu einer Nation notwendigerweise andere Nationalitäten aus." Seine "Leitideen zu einer Leitkultur" entwickelte der Marburger Philosoph am Dienstag (29. Januar) im Stadthallenrestaurant anhand zweier literarischer Texte von Ernst Toller (1893 - 1939) und Gottfried Keller (1819 - 1890).
"Deutschtum, Europäertum, Weltbürgertum - drei konzentrische Kreise einer aufgeklärten politischen Identität" lautete der Titel seines Vortrags beim Marburger Ortsverband der Humanistischen Union (HU).
Aus philosophischer Sicht entwickeelte Kahl seine Vorschläge zum Umgang mit der Nationalitätszugehörigkeit: Er wolle ein "Deutschtum ohne Deutschtümelei, ein Europäertum ohne Eurozentrismus und ein Weltbürgertum ohne wurzelloses Vagabundentum miteinander verbinden".
Die Familie und der Ort, wo ein Mensch aufwächst oder lebt, prägten sein Verhalten ebenso wie sprache und Kultur. Diese Prägungen könne niemand leugnen.
Für die Deutschen bedeute das, dass sie sowohl die kulturellen Traditionen des Landes wie auch die Geschichte des Nazi-Terrors als Bestandteil ihrer nationalen Identität anerkennen müssten. Deutschland sei indigen, germanisch, keltisch und römisch geprägt. IN einem zusammenwachsenden Europa solle man sich auch der gemeinsamen Wurzeln besinnen, die neben den Römern vor allem auch die Griechen angelegt hätten.
So stammt der Begriff "Kosmopolit" aus dem antiken Griechenland. Von Stadt zu Stadtt ziehende Philosophen bezeichneten sich dort als "Kosmopoliten". Mit dem Zerfall demokratischer Strukturen in griechischen Städten habe dieser Begriff dann vielen als Ersatz für die verlorengehende Heimat gedient.
"Nichts Menschliches ist mir fremd", zitierte Kahl die Begründung für eine kosmopolitische Weltsicht. Alle Menschen, wo immer auch sie leben, verbände dieses gemeinsame Grundverständnis.
Sowohl Ernst Toller als auch Gottfried Keller verbinden heimatliebe mit Weltläufigkeit. Dieser dialektische Ansatz, der auf den Philosophen Wilhelm von Humboldt (1767 - 1835) zurückgeht, teilt auch Joachim Kahl.
Die Verquickung der verschiedenen Zuordnungen, die Kahl als "konzentrische Kreise" betrachtet, verhhelfe dem Einzelnen zu einer aufgeklärten Distanz zu regionalen oder nationalen Borniertheiten. "Mein Land ist nicht besser als andere, aber es ist ein glücklicher Zufall, dass ich in Deutschland geboren bin."


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