Text von Freitag, 1. Februar 2002
Marburg * (FJH)
"Sie haben kämpfen müssen gegen Ignoranz und Vorurteile, gegen Hoffnungslosigkeit und Intoleranz." Mit dieser Beschreibung charakterisierte der Bundes-Behindertenbeauftragte Karl-Hermann Haack am Freitag (1. Februar) im historischen Saal des Marburger Rathauses die Arbeit von Dr. Tom Mutters. Dem Begründer der Lebenshilfe überreichte Oberbürgermeister Dietrich Möller aus Anlass seines 85. Geburtstags den Ehrenbrief des Landes Hessen. Mutters Leitspruch entspreche dem der Heiligen Elisabeth, die sich ebenso wie er für die Schwachen eingesetzt habe: "Ich will helfen." Der Holländer Tom Mutters kam nach Ende des 2. Weltkriegs ins zerstörte Deutschland, um hier im Auftrag des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen sogennante "Displaced Persons" zu ihren Familien zu bringen. Meist waren das Überlebende der Konzentrationslager, darunter viele Menschen mit Geistiger Behinderung. "Ich habe Schreckliches gesehen", deutete er an. Als er die Menschen in der Heil- und Pflegeanstalt Goddelau sah, dachte er: "Das muss doch nicht sein, dass die so herumvegetieren. Da muss doch etwas geschehen!" Gesagt, getan: Mutters reiste mit Informationsmaterial von Ort zu Ort und überzeugte die Menschen von seinen Ideen. Ein Arzt riet ihm damals: "Gehen Sie nach Marburg. Da gibt es zwei Professoren, die interessieren sich für ihre Ideen. Sonst interessiert sich in Deutschland doch sowieso keiner für den Schwachsinn!"Mit "Schwachsinn" titulierten die Menschen damals die Geistig Behinderten. Der Marburger Neurologe Prof. Wilhelm Stute hingegen unterstützte Mutters bei seinem Vorhaben. In der Marburger Nervenklinik gründete der Niederländer gemeinsam mit 15 Eltern am 23. November 1958 die "Lebenshilfe für das geistig behinderte Kind". Er erinnert sich: "Für Kinder konnte man damals leichter etwas tun als für Erwachsene. Von Anfang an schlß die Stzung aber auch geistig behinderte Erwachsene mit ein. "Bis 1989 lenkte Mutters 30 Jahre lang als Bundesgeschäftsführer die Geschicke der Lebenshilfe. Wichtig war ihm dabei das Prinzip der Selbsthilfe und das Zusammenwirken von Betroffenen und Experten. Heute hat die Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung (BVLH) 130.000 Mitglieder in mehr als 500 Orts- und Landesvereinigungen. 1960 konnte Mutters ein europäisches Netzwerk und 1962 eine internationale Vereinigung für Geistig Behinderte mit aus der Taufe heben. Robert Antretter, Bundesvorsitzender der Lebenshilfe, lobte ihn als "Menschenfreund voller Tatkraft". Er habe sich auch durch Widrigkeiten nicht von seiner Idee abhalten lassen. In den ersten Jahren erhielt er mehrmals Drohbriefe, die das Nazi-Euthanasieprogramm der Vernichtung sogenannten "lebensunwerten Lebens" für richtig erklärten. Damals habe das Wirtschaftswunder jedoch die Arbeit der Lebenshilfe wirtschaftlich getragen , meinte Mutters. In der heutigen Zei, wo das Kosten-Nutzen-Denken vorherrsche, drohe hier ein Rückfall. Denn: Diese Arbeit kostet schließlich Geld. So schloß Mutters seine Dankesrede mit einer Warnung: "Die Größe einer Demokratie erweist sich daran, was sie für die niedrigsten ihrer Bürger tut." |