Text von Samstag, 16. November 2002
Marburg * (spi)
"Mir wäre es lieb, wenn der Einsatz von Streitkräften nicht die einzige Idee unserer Bundesregierung wäre", meinte Karl Otto Hondrich von der Johann-Wolfgang-von-Goethe-Universität in Frankfurt. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Marburger Debatte" fand am Freitag (15. November) im Rathaus eine Podiumsdiskussion zum Thema "Krieg - ein Anachronismus als Dauerzustand" statt. Moderiert wurde die zweistündige Veranstaltung von Prof. Dr. Wilfried von Bredow von der Philipps-Universität, der die Reihe zusammen mit seinem Institutskollegen Prof. Dr. Thomas Noetzel organisiert hat. Präsentiert wird die Diskussionsreihe vom Hessischen Rundfunk (hr), der Philipps-Universität, der Stadt Marburg und dem Verein "Strömungen e.V.". Eingeladen waren zwei Geisteswissenschaftler und ein Vertreter der Bundeswehr. Hondrich sprach von einer Normalität des Krieges. Es sei nicht erstaunlich, dass es überhaupt kriegerische Auseinandersetzungen auf der Welt gebe, sondern dass es nicht noch mehr seien. Für eine Befriedung hielt er eine "Weltgewaltordnung" für notwendig und ging hierbei auch intensiv auf die Stellung der Bundesrepublik Deutschland ein. Hondrich beschrieb das Denken der Deutschen als "magisch", da diese nicht wahr haben wollten, welche Aufgaben ihnen in der Welt zukämen. Bernhard Gertz vom Deutschen Bundeswehrverband bestätigte dies indirekt mit seiner Kritik an der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. So hätten die letzten beiden Regierungserklärungen zwar Kriege verhindern und das Gewaltmonopol der Vereinten Nationen (UN) stärken wollen, tatsächlich habe es unter der Rot-Grünen Regierung jedoch eine Zunahme von Bundeswehreinsätzen im Ausland gegeben. Häufig sei der Einsatz von Streitkräften die erste Reaktion der Politik auf Konflikte. Die führe jedoch nur zu einer Zeitweisen Abwesenheit des Krieges und könne Konflikte nicht lösen. Für einen dauerhaften Frieden in Kriegsgebieten wie etwa dem ehemaligen Jugoslawien forderte er die Stärkung ziviler Friedensgruppen, die sich mit den tatsächlichen Ursachen eines Konflikts auseinandersetzen, sowie eine verstärkte Initiative der Politik in diese Richtung. Der Friedens- und Konfliktforscher Wolfgang R. Vogt, wissenschaftlicher Direktor der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg, stimmte ihm weitgehend zu. Konflikte seien als Prozess zu begreifen. Hier sei es wichtig, vorbeugend zu handeln, sowie nach einem Krieg die Traumata von Menschen und deren Umwelt aufzuarbeiten. "Warum bringen wir für Prävention und Nachsorge weniger Energie auf als für den Krieg an sich?" Mit dieser Fragestellungfand er die Zustimmung von Gertz. Vogt widersprach zugleich Hondrichs Beschreibung des Krieges als einer Naturkonstante. Der Weg des Konfliktaustrags in kriegerischer Form sei vielmehr ein Kulturphänomen, das es wie die Sklaverei zu überwinden gelte. Diese These erscheint gewagtfand und auf dem Podium wie im Publikum wenig Zustimmung. Hondrich verwies für die Konfliktbearbeitung auf die Theorie einer Zivilisierung kriegerischer Völker. Sie besagt, dass westliche Staaten die Entwicklung zur Zivilisation bereits hinter sich haben und deshalb in der Lage sind, Konflikte friedlich zu lösen. Die archaischen, kriegerischen Völker der Welt haben sich nach dieser Theorie lediglich am Vorbild der "friedlichen" westlichen Staaten zu orientieren. Ein Modell, das vielfach für seine einseitige westliche Sichtweise kritisiert wurde. Von Bredow wies es denn auch schnell zurück. Insbesondere mit Blick auf Nordirland müssten wir uns hüten, zu glauben, dass es heute in unserer "zivilisierten Welt" keine Konflikte mit Waffengewalt mehr gebe. |